Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

Der Newsletter zum UWG
Registrieren Sie sich hier !


 

 

(2) Wegfall der Eilbedürftigkeit

Aus § 12 Abs. 2 UWG

"Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden."

wird nicht hergeleitet, dass für eine einstweilige Verfügung im Wettbewerbsrecht keine Eilbedürftigkeit erforderlich ist. Das Vorliegen der Eilbedürftigkeit wird im Wettbewerbsrecht vermutet. Diese Vermutung kann der Anspruchsberechtigte widerlegen. Ausnahmsweise soll auch unabhängig vom Zeitablauf keine Dringlichkeit gegeben sein.

Eine Widerlegung der Eilbedürftigkeit wird angenommen, wenn der Anspruchsberechtigte sich mit der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zu lange Zeit lässt.

KG Berlin, Urt. v. 2.6.2017, 5 U 196/16, B.I.1

Die Dringlichkeitsvermutung ist widerlegbar, namentlich dadurch, dass ein Verletzter durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass die Verfolgung des beanstandeten Verstoßes für ihn selbst nicht eilig ist (vgl. Senat GRUR-RR 2015, 181, 182).

OLG Hamm, Hinweisbeschl. v. 1.12.2022, 4 U 72/22, Tz. 8

Die Dringlichkeit wird gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Diese Vermutung wird nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschl. v. 1.7.1999, I ZB 7/99, GRUR 2000, 151, Rn. 11 mwN. – Späte Urteilsbegründung), der der Senat folgt, jedoch widerlegt, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“. Dies kann insbesondere auch während des bereits laufenden Verfahrens durch zögerliche Prozessführung geschehen. Dazu ist eine Gesamtbetrachtung des prozessualen und vorprozessualen Verhaltens des Antragstellers/Verfügungsklägers geboten.

OLG Köln, Urt. v. 7.4.2017, 6 U 135/16, Tz. 56

Im Grundsatz ist anerkannt, dass die Dringlichkeit verloren geht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange zuwartet oder das Verfahren schleppend betreibt. Die Notwendigkeit, ein begonnenes Verfahren zügig zu betreiben, besteht – nach Sinn und Zweck der Dringlichkeit – allerdings nur so lange fort, bis der Antragsteller im Besitz eines vollstreckbaren Verfügungstitels ist, von dem er Gebrauch machen kann und auch unverzüglich Gebrauch macht. Verzichtete er ohne einleuchtenden Grund auf die Vollstreckung, so geht die Dringlichkeit nachträglich verloren.

OLG Stuttgart, Urt. v. 4.7.2013, 2 U 157/12, B.4.b.aa

Die Dringlichkeitsvermutung ist ... u.a. dann widerlegt, wenn der Wettbewerber oder Verband in Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis vom Wettbewerbsverstoß und vom Verletzer mit der Antragstellung so lange zugewartet hatte, dass daraus zu schließen wäre, es ist ihm tatsächlich gar nicht (mehr) eilig. Bloß fahrlässige Unkenntnis genügt nicht, da eine Obliegenheit zur Marktbeobachtung nicht besteht. Eine grob fahrlässige Unkenntnis liegt nur dann vor, wenn sich der Anspruchsinhaber bewusst der Kenntnis verschließt oder ihm nach Lage der Dinge der Wettbewerbsverstoß nicht verborgen geblieben sein konnte.

Ebenso OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.1.2023, 20 W 114/22, Tz. 47

OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.11.2014, 20 U 154/14, Tz. 26

An die Feststellung grober Fahrlässigkeit sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, § 199 Rn. 39).

Wie lange zu lange ist, beurteilen die Gerichte sehr unterschiedlich. Dazu hier.

Eine Widerlegung der Eilbedürftigkeit kann auch durch die Art und Weise erfolgen, in der das einstweilige Verfügungsverfahren betrieben wird. Wer durch sein eigenes Verhalten den Erlass einer einstweiligen Verfügung oder dessen Durchsetzung verzögert, widerlegt dadurch im Regelfall die Vermutung der Eilbedürftigkeit.

Ausnahmsweise soll keine Eilbedürftigkeit bestehen trotz zügigem Vorgehen:

OLG Hamburg, Urt. v. 12.10.2023, 5 U 104/22, Tz. 78

Die Dringlichkeitsvermutung kann entfallen, wenn der Verstoß im Zeitpunkt der Antragstellung, spätestens im Zeitpunkt der frühestmöglichen Vollziehung der einstweiligen Verfügung, beendet und seiner Natur nach (z.B. Weihnachtsverkauf) erst nach längerer Zeit wiederholbar ist (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 12 Rn. 2.18 m.w.N.). Entscheidend ist, ob der Antragsteller in der Zwischenzeit einen mindestens vorläufigen Titel im Hauptsacheverfahren erwirken könnte (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 12 Rn. 2.18 m.w.N.). 

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.1.2023, 20 W 114/22, Tz. 18, 20

Über den Verfügungsgrund ist nach einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Parteiinteressen zu entscheiden. Auszugehen ist vom Interesse des jeweiligen Antragstellers, den Verfügungsanspruch nicht dadurch gefährdet zu sehen, dass bis zu einer Entscheidung in der Hauptsachen zu viel Zeit verstreicht. Dagegen abzuwägen ist das Interesse des Antragsgegners, nicht durch eine Maßnahme beeinträchtigt zu werden, welche auf einem Verfahren beruht, das seine Möglichkeiten der Rechtsverteidigung verkürzt.

Dies zugrunde gelegt, wiegen im Streitfall die Interessen der Antragstellerin, das von ihr ... begehrte Verbot mit einer Eilmaßnahme zu erreichen, so gering, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG – unabhängig von der Zügigkeit der Rechtsverfolgung – widerlegt ist. Die ... Tatsachengrundlage des Streitfalls reicht nicht aus, um das begehrte Verbot zu rechtfertigen. Mit den Erkenntnismöglichkeiten des Verfügungsverfahrens kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TabakerzV bzw. § 8 Abs. 1, 8 Abs. 3 Nr. 1, §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG vorliegen. Maßgeblich ist dabei, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren die Beschränkung auf präsente Beweismittel gilt.

Bei gewerblichen Schutzrechten, dem Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten wird teilweise angenommen, dass keine Eilbedürftigkeit besteht, wenn der Schuldner sein rechtsverletzendes Verhalten einstellt.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.12.2021, I-20 U 90/21 (WRP 2022, 474)

Ist die Geschmacksmusterverletzung beendet, so endet zugleich eine tatsächliche Beeinträchtigung des Schutzrechtsinhabers. Dass die bloße Beendigung hingegen nicht ausreicht, um die durch die Verletzung begründete Wiederholungsgefahr auszuräumen, vermag daran nichts zu ändern. In einem solchen Fall besteht mithin zwar weiterhin ein geschmacksmusterrechtlicher Unterlassungsanspruch, dessen Durchsetzung im Eilverfahren ist aber zumindest fraglich (vgl. zum Markenrecht vor Einführung des § 140 Abs. 3 MarkenG: Meinhardt, Es Eilt: Die Dringlichkeit im Markenrecht – Ein Appell an den Gesetzgeber, GRUR-Prax 2015, 27 sowie BT-Drs 19/2898 S. 109 (Anlage 3 zur AmtlBegr-MaMoG)), …

So kann ein Verfügungsgrund zu verneinen sein, wenn das beanstandete Verhalten zwischenzeitlich eingestellt worden ist. Dies ist nach Auffassung des Senats aber nicht zwingend, vielmehr stets eine Frage des Einzelfalls.

S.a. OLG Köln, Beschl. v. 12.4.2021, 6 W 98/20; OLG Rostock, Beschl. v. 26.4.2021, 2 W 12/21; OLG Dresden, Urt. v. 7.4.2005, 9 U 263/05; OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.10.2018, 3 W 1932/18.

Auf einstweilige Verfügungsverfahren im UWG und Markenrecht dürfte diese Rechtsprechung nicht zu übertragen sein, weil in diesen Bereichen eine gesetzliche Dringlichkeitsvermutung besteht. Allenfalls kommt in Betracht, dass den Unterlassungsschuldner eine Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast trifft, wonach eine Wiederholung der beanstandeten geschäftlichen Handlung ausgeschlossen ist, obwohl keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben wurde.