Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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Dual Quality (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG)

Literatur: von Jagow, Carl, Festschrift Harte-Bavendamm, 2020, 249; Sosnitza, Olaf, Dual Quality - Der neue Irreführungstatbestand der Vermarktung als identische Waren trotz wesentlicher Unterschiede nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG 2022, ZLR 2021, 826

§ 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG

Eine geschäftliche Handlung ist auch irreführend, wenn

2. mit ihr eine Ware in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union als identisch mit einer in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Markt bereitgestellten Ware vermarktet wird, obwohl sich diese Waren in ihrer Zusammensetzung oder in ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden, sofern dies nicht durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt ist.

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Richtlinienkonformität

§ 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG wurde aufgrund Art. 6 Abs. 2 lit. c) der Richtlinie EU Nr. 2019/2161 mit Wirkung ab dem 28.5.2022 eingefügt. Diese Bestimmung lautet:

Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte, und Folgendes beinhaltet:

c) jegliche Art der Vermarktung einer Ware in einem Mitgliedstaat als identisch mit einer in anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Ware, obgleich sich diese Waren in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden, sofern dies nicht durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt ist.

Erwägungsgrund 51 ff der Richtlinie EU Nr. 2019/2161

Artikel 16 der Charta garantiert die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Die mitgliedstaatenübergreifende Vermarktung von Waren als identisch, obgleich diese sich in Wirklichkeit in ihrer Zusammensetzung oder ihren Eigenschaften wesentlich voneinander unterscheiden, kann für Verbraucher jedoch irreführend sein und sie zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die sie ansonsten nicht getroffen hätten.

Eine solche Praktik kann daher auf der Grundlage einer Einzelfallbeurteilung der relevanten Elemente als Verstoß gegen die Richtlinie 2005/29/EG angesehen werden. ...

... Um sowohl für Gewerbetreibende als auch für Durchsetzungsbehörden Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollte die genannte Richtlinie daher geändert werden und ausdrücklich den Fall regeln, dass eine Ware als identisch mit einer in anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Ware vermarktet wird, obgleich sich diese Waren in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden. Die zuständigen Behörden sollten derartige Praktiken gemäß der Richtlinie 2005/29/EG, in der durch die vorliegende Richtlinie geänderten Fassung, im Einzelfall beurteilen und dagegen vorgehen. Bei ihrer Beurteilung sollten die zuständigen Behörden berücksichtigen, ob solche Unterschiede von den Verbrauchern leicht zu erkennen sind, dass Gewerbetreibende berechtigt sind, aufgrund legitimer und objektiver Faktoren wie nationalem Recht, Verfügbarkeit oder Saisonabhängigkeit von Rohstoffen oder freiwilliger Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu gesunden und nährstoffreichen Lebensmitteln Waren derselben Marke an unterschiedliche geografische Märkte anzupassen, und dass Gewerbetreibende berechtigt sind, Waren derselben Marke in Packungen mit unterschiedlichem Gewicht oder unterschiedlicher Füllmenge auf verschiedenen geografischen Märkten anzubieten. Die zuständigen Behörden sollten prüfen, ob solche Unterschiede von den Verbrauchern leicht zu erkennen sind, indem sie die Verfügbarkeit und Angemessenheit von Informationen berücksichtigen. Es ist wichtig, dass Verbraucher über die Unterschiede zwischen den Waren aufgrund legitimer und objektiver Faktoren unterrichtet werden. Die Gewerbetreibenden sollten die Möglichkeit haben, diese Informationen in verschiedenen Formen zur Verfügung zu stellen, die es den Verbrauchern ermöglichen, auf die nötigen Informationen zuzugreifen. Die Gewerbetreibenden sollten Alternativen zur Bereitstellung von Information auf dem Etikett der Ware in der Regel bevorzugen. Die einschlägigen branchenbezogenen Vorschriften sowie die Vorschriften für den freien Warenverkehr sollten eingehalten werden.

Der europäische Gesetzgeber verweist in diesem Zusammenhang auf die Bekanntmachung der Kommission zur Anwendung des EU-Lebensmittel- und Verbraucherschutzrechts auf Fragen der Produkte von zweierlei Qualität — Der besondere Fall der Lebensmittel als Orientierungshilfe.

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Vermarktung als identische Ware

Da due UGP-Richtlinie, in die die Bestimmung aufgenommen wurde, das B2C-Verhältnis erfasst, kommt es darauf an, ob ein ausreichend erheblicher Teil der Verbraucher aufgrund konkreter Umstände der geschäftlichen Handlung davon ausgeht, dass die beworbene Ware identisch mit derjenigen sei, die in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union angeboten wird. Wesentliche Indizien dafür sind die Verwendung einer identischen Marke und eine identische Produktaufmachung (, soweit von der unterschiedlichen Sprache abgesehen wird). Bornkamm/Feddersen gehen sogar davon aus, dass die identischen Marke und die identische Produktaufmachung kumulativ vorliegen müssen  (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG nF § 5 Rn. 11). Sosnitza hält zurecht fest, dass sich der Eindruck der Identität auch aus anderen Umständen, z.B. der Identitätsbehauptung des Herstellers ergeben kann (Sosnitza ZLR 2021, 826, 832).

Ob die Marke im Inland geschützt ist, ist nicht maßgeblich, da es sich bei § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG um einen Schutz des Verbrauchers vor Irreführung geht und nicht um einen Schutz eines Markeninhabers.

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in anderen Mitgliedstaaten bereitgestellten Ware

Die Ware muss auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union am Markt bereit gestellt, d.h. angeboten und vertrieben werden. Aus der Verwendung des Plurals im Tatbestand schließen Bornkamm/Feddersen, dass es nicht ausreicht, dass die Ware nur in einem anderen Mitgliedstaat vertrieben wird (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG nF § 5 Rn. 20). Allerdings wird das Irreführungspotential nicht dadurch beeinflusst, ob die Ware nur in einem oder in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union am Markt bereitgestellt wird. Gerade in Grenzregionen ist Verbrauchern häufig spezielle Ware des Nachbarstaats bekannt, bei der er davon ausgeht, dass sie mit der unter derselben Marke im Inland vertriebenen Ware identisch ist.

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Wesentlich unterschiedliche Zusammensetzung oder Merkmale

Die Zusammensetzung oder die Merkmale der im Ausland vertriebenen Ware müssen sich objektiv von der Zusammensetzung oder den Merkmalen der im Inland angebotenen Ware unterscheiden und dieser Unterschied muss wesentlich sein.

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Zusammensetzung

Unter die Zusammensetzung fallen alle Materialien, Stoffe oder Ingredienzien, die bei der Herstellung einer Ware verwendet werden und sich in der Ware wiederfinden.

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Merkmale

Der Begriff der Merkmale ist weit zu verstehen. Er erfasst sämtliche Eigenschaften der Ware, die nicht die Zusammensetzung betreffen. Die Merkmale müssen aber der Ware selbst anhaften. Kontextuelle Eigenschaften wie Image oder Kundenzufriedenheit sind keine Warenmerkmale.

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Unterschiede

Die Zusammensetzung und/oder die Merkmale der in anderen Mitgliedstaaten der EU vertriebenen Ware muss sich objektiv von der Zusammensetzung und/oder den Merkmalen der im Inland vertriebenen Ware unterscheiden. Dafür ist ein objektiver Vergleich der Zusammensetzung und/oder der Merkmale der Waren durchzuführen. Die Unterschiede müssen objektiv und konkret festgestellt werden.

Darüber hinaus muss der Verbraucher aber auch erwarten, dass die im Inland angebotene Ware mit der im Ausland vertriebenen Ware identisch ist. Denn andernfalls kann er über die Identität nicht getäuscht werden. Der Verbraucher muss allerdings die Zusammensetzung oder die Merkmale im einzelnen nicht kennen. Es genügt, dass er Identität erwartet, die tatsächlich objektiv nicht gegeben ist.

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Wesentlich

Die Zusammensetzung und/oder die Merkmale der in anderen Mitgliedstaaten der EU vertriebenen Ware muss sich wesentlich von der Zusammensetzung und/oder den Merkmalen der im Inland vertriebenen Ware unterscheiden.  Das Kriterium der Wesentlichkeit setzt eine Wertung voraus, für die Richtlinie und Gesetz keine Vorgaben enthalten. Bornkamm/Feddersen weisen auf die Ähnlichkeit des Wesentlichkeitskriterium mit dem Relevanzkriterium hin (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG nF § 5 Rn. 24). Wahrscheinlich wird es in der Praxis auf einen Gleichlauf beider Kriterien hinauslaufen (Sosnitza ZLR 2021, 826, 831). Eine Abweichung der Zusammensetzung oder Merkmale einer Ware ist wesentlich, wenn er für die geschäftliche Entscheidung eines ausreichend erheblichen Teil der Verbraucher relevant ist.

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Rechtfertigung durch legitime und objektive Faktoren

Die Irreführung des Verbrauchers ist zulässig, wenn sie durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt ist. Dadurch wird auf das Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 16 Grundrechts-Charta (s.o. Erwägungsgrund 51, 53) verwiesen. Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Irreführungsverbot schon immer in besonderer Weise dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt, das eine Interessenabwägung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne erfordert. Auch gesetzliche Vorgaben können eine Irreführung des Verbrauchers rechtfertigen.

Im Rahmen der Interessenabwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung können auch Bemühungen des Unternehmers berücksichtigt werden, einer Irreführung des Verbrauchers entgegenzuwirken (Sosnitza ZLR 2021, 826, 833).

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Konkurrenzen

In allen Fällen, in denen ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG vorliegt, dürfte auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG gegeben sein (Sosnitza ZLR 2021, 826, 828).

Eine Kollision besteht zwischen den genauen Vorgaben zu Gestaltung und Inhalt von Energieetiketten nach Richtlinie 2010/30/EU bzw. Verordnung (EU) 2017/1369 und Art. 7 UGP-RL, sodass darüberhinausgehende Informationen nicht als wesentlich angesehen werden können (Sosnitza ZLR 2021, 826, 830).

Nach Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel, unter anderem in Bezug auf Art, Eigenschaften und Zusammensetzung, nicht irreführend sein. Nach Art. 7 Abs. 2 LMIV müssen Informationen über Lebensmittel zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein. § 5 UWG (Art. 6 UGP-RL) ist zwar grundsätzlich neben Art. 7 Abs. 1 LMIV anwendbar. Allerdings sind die allgemeinen Irreführungsverbote des UWG im Anwendungsbereich der LMIV LMIV-konform auszulegen. Deshalb dürfen aus den allgemeinen Irreführungstatbeständen keine weitergehenden Irreführungsverbote abgeleitet werden als aus Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 LMIV (Sosnitza ZLR 2021, 826, 831). Bei ordnungsgemäßer lebensmittelrechtlicher Kennzeichnung, die die abweichende Zusammensetzung im Zutatenverzeichnis ausweist, kann daher keine Vermarktung als identisch im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG 2022 angenommen werden, selbst wenn das Produkt im Übrigen (Marke, Verpackung) länderübergreifend einheitlich vertrieben und beworben wird (Sosnitza ZLR 2021, 826, 832).

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