Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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§ 8c Abs. 2 Nr. 2 - Unverhältnismäßige Abmahntätigkeit

1. Gesetzestext

2. Kommentierung

Massenabmahner

3. Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F.)

Gesetzestext und -begründung

(2) Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn

2. ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht, …

Gesetzesbegründung in BT-Drcks. 19/12084, Seite 29

Nach Nummer 2 wird ein Missbrauch vermutet, wenn Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift geltend machen. Missbräuchliche Abmahnungen werden oft in erheblicher Anzahl versandt, da der Anspruch auf Aufwendungsersatz auf Grund der Automatisierung der Abmahnung der Rechtsverletzung finanziell besonders attraktiv ist. Typisch für einen solchen Missbrauch ist, dass der Mitbewerber nur in geringem Umfang wirtschaftlich tätig ist und angesichts dessen oder angesichts einer hohen Zahl von ausgesprochenen Abmahnungen zweifelhaft ist, ob er das wirtschaftliche Risiko selbst trägt, das er durch die Beauftragung eines Anwalts mit Abmahnungen eingeht. Die Vermutung bezieht sich nur auf Mitbewerber, da bei den übrigen Anspruchsberechtigten im Rahmen ihrer Tätigkeit üblicherweise eine höhere Anzahl von Verstößen geltend gemacht wird.

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Kommentierung

Die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands sind eng formuliert. Sie greifen nur, wenn Abmahnungen auf die Verletzung der gleichen Rechtsvorschrift gestützt werden und die Anzahl dieser Abmahnungen außer Verhältnis zur Geschäfttätigkeit steht. Wegen der Vorgabe von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift lässt sich die Rechtsprechung zu Massenabmahnungen (dazu siehe hier), wie sie bis zur UWG-Reform 2020 entwickickelt wurde, nur bedingt auf § 8b Abs. 2 Nr. 2 übertragen.

Unklar ist auch, was konkret mit Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift gemeint ist. Reicht der gleiche Paragraf, etwa § 7 UWG, oder muss es dergleiche Verstoß sein, etwa § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG?

Die Anzahl der Abmahnungen und der Umfang der Geschäftstätigkeit stehen in einem proportionalen Verhältnis zueinander. Bei sehr geringer Geschäftstätigkeit können schon wenige Abmahnungen ausreichen, bei umfangreicher Geschäftstätigkeit sehr viele noch nicht. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls na. Allerdings sollte m.E. kein zu strenger Maßstab angelegt werden. Denn die Abmahnbefugnis ist, soweit die Aktivlegitimation gegeben ist, die Regel, von der nur ausnehmsweise abgewichen werden kann.

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Massenabmahner

Außerhalb des Anwendungsbereich des § 8b Abs. 2 Nr. 2 UWG ist es grundsätzlich unbedenklich, wenn ein Wettbewerber gegen viele Konkurrenten gleichzeitig wegen desselben oder wegen verschiedener Rechtsverstoßes vorgeht.

Zu einem Verband:

BGH, Urt. v. 26.1.2023, I ZR 111/22, Tz. 45 - Mitgliederstruktur

Der Umstand, dass der Kläger eine Vielzahl von Abmahnungen ausspricht, deutet nicht auf ein im Vordergrund stehendes Gebührenerzielungsinteresse. Die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen geschieht in Wahrnehmung des Satzungszwecks des Klägers. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er damit in erster Linie nicht Wettbewerbsverstöße verfolgen, sondern Einnahmen für andere Zwecke generieren will. Gibt es eine Vielzahl von Verstößen, setzt eine effektive Durchsetzung der Mitgliederinteressen eine damit korrespondierende Vielzahl von Abmahnungen und - soweit keine Unterlassungserklärungen abgegeben werden - gerichtlicher Verfahren voraus. Nimmt ein Wirtschaftsverband seine Aufgabe ernst, zieht eine Vielzahl von Wettbewerbsverstößen zwangsläufig eine entsprechende Anzahl von Abmahnungen und gegebenenfalls gerichtlicher Verfahren nach sich.

Zu einem Einzelkaufmann:

BGH, Vers-Urt. v. 23.3.2023, I ZR 17/22, Tz. 17 – Aminosäurekapseln

Der Umstand allein, dass der Kläger im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 39 Abmahnungen in drei Komplexen ausgesprochen hat, wovon der zweite Komplex die 25 wortlautidentischen Abmahnungen vom 5. Februar 2019 wegen Verstößen gegen die Verpflichtung zur Grundpreisangabe betraf, reicht für sich genommen nicht aus, um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 - I ZR 106/10, GRUR 2013, 176 [juris Rn. 25] = WRP 2013, 336 – Ferienluxuswohnung). Zu einer umfangreichen Abmahntätigkeit oder einer Vielzahl von Abmahnungen gegen Wettbewerber wegen gleichartiger Verhaltensweisen müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, damit der Schluss auf ein Überwiegen sachfremder Ziele gerechtfertigt erscheint.

Die Vielzahl der Abmahnungen kann aber ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein.

OLG Frankfurt, Urt. v. 24.9.2015, 6 U 60/15, II.5

Ein festzustellendes objektives Missverhältnis zwischen dem Umfang der Verfolgungstätigkeit und dem Umfang der geschäftlichen Aktivitäten kann allein den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht begründen. Es müssen insgesamt ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Anspruchsgläubiger mit der Ausnutzung seiner Verfolgungsbefugnis überwiegend vom Gesetz nicht gebilligte Zwecke verfolgt. Dabei kommt dem genannten Missverhältnis zwar eine wichtige indizielle Wirkung zu. Gleichwohl muss bei Berücksichtigung der Gesamtumstände mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, dass und welche zu missbilligenden Ziele der Anspruchsgläubiger in Wahrheit verfolgt.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.5.2021, 6 W 23/21, II.4

Verhalten sich viele Wettbewerber wettbewerbswidrig, muss es grundsätzlich möglich sein, gegen alle vorzugehen, sofern die Verstöße die Marktposition des Abmahnenden in relevanter Weise beeinträchtigen können (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2016, 274 - Drohkulisse; GRUR-RR 2007, 56, 57; Kochendörfer, WRP 2020, 1513, Rnr. 7). Ein Mitbewerber muss gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Rechtsverstoß einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Anders als z.B. in der vom BGH entschiedenen "Abmahnaktion II" (GRUR 2019, 199) handelt es sich hier nicht um die Verletzung einer Kennzeichnungspflicht, die den Wettbewerber nicht unmittelbar betrifft oder benachteiligt; vielmehr ist hier ein unmittelbarer Nachteil für die Antragstellerin zu erkennen, die sich der Mühen und Kosten der Akkreditierung gestellt hat, die die Antragsgegnerin nicht aufgewendet hat. Die Zahl der Abmahnungen (51) kann daher als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung nicht in Betracht kommen.

OLG Hamm, Urt. v. 15.9.2015, 4 U 105/15, Tz. 19 f

Eine … umfangreiche Abmahntätigkeit kann für sich allein betrachtet in der Regel keinen Missbrauch belegen, wenn zugleich umfangreiche Wettbewerbsverstöße in Betracht kommen. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Anspruchsgeltendmachung begründen können. Solche Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn die Abmahntätigkeit sich derart verselbstständigt hat, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu der (eigentlichen) gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.

Zur Bewertung des wirtschaftlichen Umfanges einer umfangreichen Abmahntätigkeit ist das hieraus resultierende Kostenrisiko für den Abmahnenden heranzuziehen. Bei der Ermittlung dieses Kostenrisikos ist im vorliegenden Falle auf die Verhältnisse am Tag des Beginns der Abmahnserie und des Ausspruches der Abmahnung gegenüber der Verfügungsbeklagten, abzustellen und auf dieser Basis eine Prognose zu den zu erwartenden Kosten zu treffen. Zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbare, für die Verfügungsklägerin im Ergebnis günstigere Entwicklungen in der Folgezeit vermögen die Verfügungsklägerin nicht zu entlasten.

Dagegen

OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 37

Die Entscheidung des OLG Hamm vom 15. September 2015 (4 U 105/15, veröffentlicht bei juris)… erscheint dem Senat … insoweit bedenklich, als sie dazu führt, dass ein „Kleiner“ gegen einen „Großen“, der … durch eine Vielzahl selbständiger Gesellschaften organisiert ist, wegen des zu erwartenden Einwand des Rechtsmissbrauchs selbst dann nicht mehr vorgehen darf, wenn die Verstöße eindeutig sind. Den Missbrauchseinwand bereits an dieser Stelle zu berücksichtigen, stellte einen Zirkelschluss dar, weil sich der Rechtsmissbrauch in diesem Fall daraus ergäbe, dass die Klägerin ihr Verhalten als rechtsmissbräuchlich ansehen musste.

OLG Hamm, Urt. v. 2.3.2010, 4 U 217/09

Die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden dient dem Interesse der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Deshalb können auch umfangreiche Abmahntätigkeiten für sich allein noch keinen Missbrauch belegen, wenn zugleich umfangreiche Wettbewerbsverstöße in Betracht kommen. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs begründen können. Solche Umstände können Indizien für eine Rechtsverfolgung im primären Gebührenerzielungsinteresse ebenso sein wie eine selektive Schuldnerauswahl oder Indizien für eine Rechtsverfolgung lediglich im Interesse eines Dritten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Abmahntätigkeit auf einem Gebiet entfaltet wird, in dem der Abmahnende nur zum Schein oder nur in einem geringen Umfang tätig ist oder wenn die Abmahntätigkeit so umfangreich ist, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden mehr steht. In einem solchen Fall hat sich die Abmahntätigkeit dann erkennbar verselbständigt. Ob das letztlich der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der Begleitumstände der Verletzungshandlung, des Wettbewerbsverhältnisses und der sonstigen Umstände im Rahmen des Freibeweises zu würdigen. Insoweit ergibt sich so etwas wie eine Wechselwirkung. Je größer die Zahl der Abmahnungen ist, umso eher ist das ein Indiz für ein missbräuchliches Verhalten. In einem solchen Fall müssen dann umso weniger sonstige Umstände hinzukommen. Dagegen kann auch bei einer geringen Zahl von Abmahnungen oder im Extremfall auch schon bei einer einzigen Abmahnung auf einen Rechtsmissbrauch zu schließen sein, wenn ganz besonders gewichtige Umstände vorliegen, die auf sachfremde Motive schließen lassen.

Ebenso OLG Hamm., Urt. v. 29.6.2010, I-4 U 24/10, Tz. 27; OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2011, I-4 U 41/11; OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15

OLG Frankfurt, Urt. v. 9.6.2022, 6 U 134/21, II.1.b.ee

Die umfangreiche Abmahntätigkeit des Klägers spricht für sich genommen nicht für die Verfolgung sachfremder Ziele. Will ein Wirtschaftsverband im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG seine satzungsgemäße Aufgabe ernst nehmen, zieht eine Vielzahl von Wettbewerbsverstößen von Mitbewerbern der Mitglieder zwangsläufig eine entsprechende Anzahl von Abmahnungen und gegebenenfalls gerichtlicher Verfahren und Zahlungsaufforderungen nach Zuwiderhandlungen nach sich. Dieser Umstand kann daher für sich allein weder die Klagebefugnis in Frage stellen noch einen Rechtsmissbrauch begründen (BGH, Urt. v. 4.7.2019, I ZR 149/18, Tz. 44, 45 - Umwelthilfe). Die Prozessführungsbefugnis der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Bekämpfung unlauterer Wettbewerbshandlungen nicht nur im Interesse des unmittelbar Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (BGH, Urt. v. 17.8.2011, I ZR 148/10, Tz. 22 - Glücksspielverband). Die umfangreiche Wahrnehmung dieser Aufgabe kann daher für sich genommen nicht missbräuchlich sein.

OLG Hamburg, Urt. v. 5.7.2012, 3 U 65/10, II.3.c.aa – 40 #1 Hits THE SIXTIES

Der bloße Umstand, dass eine Vielzahl von Abmahnungen ausgesprochen wird und auf dieser Basis auch gerichtliche Streitigkeiten ausgetragen werden, ist für sich genommen nicht schon geeignet, den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu begründen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden dem Interesse der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dient. Deshalb können umfangreiche Abmahntätigkeiten für sich allein noch keinen Missbrauch belegen, wenn zugleich umfangreiche Wettbewerbsverstöße in Betracht kommen (BGH GRUR 2005, 433 – Telekanzlei).

OLG Celle, Hinweisbeschl. v. 27.3.2017, 13 U 199/16 (MD 2017, 606)

Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, dass der Kläger bundesweit gegen eine Vielzahl von Anbietern eines Produkts vorgeht. Eine schonendere Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung gegenüber den rechtlich selbstständigen Mitbewerbern ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere hätte es zur Realisierung des Ziels des Verfügungsklägers, die angegriffene Werbung zu unterbinden, nicht ausgereicht, die Herstellerin der Geräte auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Dass die Vervielfachung der Verfahren ausschließlich der Erhöhung des wirtschaftlichen Drucks auf die Herstellerin diente, lässt sich nicht feststellen.

Ebenso OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 15

OLG Jena, Urt. v. 6.10.2010 - 2 U 386/10

Die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen ist für sich allein kein ausschlaggebendes Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen. Jedoch spricht die hohe Zahl der Abmahnungen in der Zusammenschau mit den weiteren Indizien dafür, dass bei der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen überwiegend von sachfremden Motiven verfolgt werden und nachvollziehbare wirtschaftliche oder wettbewerbspolitische Gründe demgegenüber keine entscheidende Rolle spielen.

Aus der Instanzrechtsprechung:

OLG Nürnberg, Urt. v. 12.11.2013, 3 U 410/13, B.I.1.a

Ein massenhaftes systematisches Durchforsten (vgl. BGH GRUR 2001, 260 - Vielfachabmahner) ist ein Indiz für den Rechtsmissbrauch.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.3.2015, I-20 U 187/14, Tz. 27

Zwar ist anerkannt, dass eine umfangreiche Abmahntätigkeit und Prozessführung die Annahme eines Missbrauchs regelmäßig noch nicht rechtfertigt. Bei der gebotenen Gesamtschau kann sie aber eines von mehreren ausschlaggebenden Indizien sein.

Die Rechtsprechung war in dieser Hinsicht in der Vergangenheit in der Regel zurückhaltend.

  • Das OLG Frankfurt hat im Urt. v. 14.12.2006, 6 U 129/06 im Falle von 200 Abmahnungen eines Mitbewerbers wegen unzureichender Widerrufsbelehrungen einen Rechtsmissbrauch abgelehnt.
  • Demgegenüber hat das OLG Frankfurt ein starkes Indiz für einen Rechtsmissbrauch darin gesehen, dass ein Unternehmen bereits im Jahr seiner Gründung und dem Folgejahr mindestens 160 Abmahnungen ausgesprochen hat (OLG Frankfurt, Urt. v. 24.5.2015, 6 U 101/14). Dem stand keine nennenswerte Geschäftstätigkeit gegenüber s.a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016, I-20 U 22/15, Tz. 36).
  • Das OLG Brandenburg (Beschl. v. 22.9.2009, 6 W 93/09) hat einen Rechtsmissbrauch angenommen, wenn ein Anspruchsberechtigter in kurzer Zeit 65 Rechtsstreitigkeiten als Aktiv-Partei im Bereich des UWG führt. Nach seiner Auffassung soll in diesen Fällen eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen soll, dass es einem Wettbewerber nicht um die Verfolgung ihn wirklich in seiner Geschäftstätigkeit beeinträchtigenden unlauteren Verhaltens geht, sondern um die Generierung von Ansprüchen auf Ersatz von Abmahnkosten und Anwaltsgebühren. Das Kammergericht (KG Berlin, Beschl. v. 22.7.2011, 5 W 161/11) hält jedenfalls 120 Abmahnungen in 19 Tagen für zuviel, das OLG München 1000 im Jahr (Beschl. v. 10.8.2009, 29 U 3739/09).
  • Das OLG Nürnberg (Urt. v. 12.11.2013, 3 U 410/13) hat unter Berücksichtigung witerer Indizien 199 Abmahnungen von Impressumsverstößen durch ein kleines Unternehmen innerhalb weniger Tage ausreichen lassen.
  • Das OLG München hielt eine Abmahnung 'in mehreren Dutzend Fällen' für ausreichend bei einem Unternehmen, dass sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befand und einen eigenen Prozessfond gebildet hatte, aus dem es nur gegen Wettbewerber vorging, wenn aus anderen Verfahren wieder genug Geld da war (OLG München, Urt. v. 3.9.15, 29 U 0721-15 - Kopfhörer-Registrierung).
  • OLG Düsseldorf: 160 Abmahnungen in zwei Jahren bei einem neu gegründetem Unternehmen, bei dem Gerichts- und Anwaltskosten die Hälfte des Umsatzes ausmachten, begründen einen Rechtsmissbrauch. Erschwerend kam hinzu, dass das Unternehmen dem Gericht einen höheren Umsatz vorspiegeln wollte, als er tatsächlich realisiert wurde (OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, I-20 U 24/15, Tz. 35ff; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016, 20 U 25/15, Tz. 36).
  • OLG Hamburg: 169 Abmahnungen in etwas über einem Jahr überwiegend wegen falscher Preisangaben reicht aus (OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15)
  • OLG Celle: 203 Abmahnungen gegen einen Unternehmensverbund, der Baumärkte betreibt, die jeweils als selbständige juristische Personen organisiert sind, reicht nicht aus (OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 21: "Die Inanspruchnahme (nur) der Zentrale hätte nicht verhindert, dass die Baumärkte ihre Lagerbestände hätten abverkaufen können.")

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Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F.)

BGH, Urt. v. 6.10.2011, I ZR 42/10, Tz. 13 - Falsche Suchrubrik

Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich unter anderem daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.

Ebenso BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH, Urt. v. 3.3.2016, I ZR 110/15, Tz. 15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; OLG Frankfurt, Urt. v. 24.5.2015, 6 U 101/14, II.2.a; OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15; OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 31; OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.9.2017, 6 U 10/16, Tz. 24; OLG Hamburg, Urt. v. 9.2.2017, 3 U 208/15, II.2 – Objektive Preisvergleiche; BGH, Urt. v. 14..2.2019, I ZR 6/17, Tz. 21 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung

BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 23 – Abmahnaktion II

Ob sich eine Rechtsverfolgung als missbräuchlich darstellt, ist aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers zu beurteilen. Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat.

Ebenso OLG Hamm, Urt. v. 3.11.2022, 4 U 201/21, Tz. 59

Konsequenz:

BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 32 – Abmahnaktion II

Die Unverhältnismäßigkeit der von der Klägerin ausgesprochenen Massenabmahnungen lässt grundsätzlich den Schluss zu, dass eine missbräuchliche Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG vorliegt.

BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 34 – Abmahnaktion II

Fehlt jedes wirtschaftlich nennenswerte Interesse an der Rechtsverfolgung, so entfällt die Indizwirkung einer im Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit sehr umfangreichen Abmahntätigkeit für einen Rechtsmissbrauch nicht dadurch, dass der Abmahnende sich zuvor bemüht hat, die Wettbewerbsverstöße ohne ausufernde Abmahntätigkeit einfach und kostengünstig abzustellen. Führen diese Bemühungen aus Sicht des anspruchserhebenden Unternehmers unter solchen Umständen nicht zum Erfolg, so entfällt dadurch nicht die Indizwirkung unverhältnismäßiger Abmahntätigkeit.

Allerdings

BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 29 – Abmahnaktion II

Bei der regelmäßig bestehenden Eilbedürftigkeit für die Abstellung von Wettbewerbsverstößen steht es dem Verfügungskläger grundsätzlich frei, neben oder statt des Herstellers die Händler der beanstandeten Ware in Anspruch zu nehmen.

BGH, Urt. v. 4. Juli 2019, I ZR 149/18, Tz. 34 - Umwelthilfe

Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt es dar, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und gegebenenfalls Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen.

BGH, Urt. v. 5.10.2000, I ZR 237/98, II.3.a, b – Vielfachabmahner

Der Kläger hat im Jahr 1997 etwa 150 wettbewerbsrechtliche Abmahnungen vorgenommen. Im Jahr 1998 hat er immer noch etwa 35 Abmahnungen ausgesprochen. Grundlage seiner Abmahntätigkeit ist die Überprüfung des Immobilienteils von Tageszeitungen auf wettbewerbswidrige Anzeigen. Schon aus der Zahl der Abmahnungen des Klägers ergibt sich, dass seine Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu seinen behaupteten gewerblichen Tätigkeiten gestanden hat.

Als weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen kommt hinzu, dass der Kläger unter den gegebenen Umständen selbst dann, wenn seine eigenen Angaben zu seiner gewerblichen Tätigkeit zugrunde gelegt werden, an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann. Aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden dient seine Rechtsverfolgung vielmehr keinem anderen Interesse als seinem Gebühreninteresse als Rechtsanwalt.

(Anm: Das im Zitat erwähnte abstrakte Wettbewerbsverhältnis gibt es nicht mehr. Die Begründung ist deshalb nicht mehr aktuell, das Urteil im Ergebnis aber wohl).

Ebenso OLG Nürnberg, Urt. v. 12.11.2013, 3  U 410/13, B.I.1.a bei der massenhaften Abmahnung von Formalverstößen: "Dass durch das Unterlassen eines vollständigen Impressums auf der Facebookseite der Abgemahnten der Klägerin nennenswerte Wettbewerbsnachteile entstehen können, ist nicht ersichtlich." Zurückhaltender aber das OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 33: "Allein der Umstand, dass die Finanzkraft der Klägerin nicht ausreicht, um im Falle eines Unterliegens die angefallenen Kosten auszugleichen, kann nicht genügen, um von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen auszugehen. Anderenfalls könnte kein „Kleiner“ auf dem Markt gegen einen „großen“ Verletzer vorgehen." 

Das OLG Frankfurt hat ein starkes Indiz für einen Rechtsmissbrauch darin gesehen, dass ein Unternehmen bereits im Jahr seiner Gründung und dem Folgejahr mindestens 160 Abmahnungen ausgesprochen hat (OLG Frankfurt, Urt. v. 24.5.2015, 6 U 101/14). Dem stand keine nennenswerte Geschäftstätigkeit gegenüber s.a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016, I-20 U 22/15, Tz. 36).

OLG Düsseldorf: 160 Abmahnungen in zwei Jahren bei einem neu gegründetem Unternehmen, bei dem Gerichts- und Anwaltskosten die Hälfte des Umsatzes ausmachten, begründen einen Rechtsmissbrauch. Erschwerend kam hinzu, dass das Unternehmen dem Gericht einen höheren Umsatz vorspiegeln wollte, als er tatsächlich realisiert wurde (OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, I-20 U 24/15, Tz. 35ff; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016, 20 U 25/15, Tz. 36).

OLG Hamburg: 169 Abmahnungen in etwas über einem Jahr überwiegend wegen falscher Preisangaben reicht aus (OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15)

Entschließt sich eine finanzschwache GmbH zu einer umfangreichen Abmahn- und Prozesstätigkeit, ist dies mit einem vernünftigen kaufmännischen Gebaren nicht vereinbar, sondern indiziert rechtsmissbräuchliches Vorgehen bei der Abmahnung.

Auch dem OLG Karlsruhe reichen wenige Abmahnungen eines Unternehmens in der Krise.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.9.2017, 6 U 10/16, Tz. 26

Für den vorliegenden Fall ist es von entscheidender Bedeutung, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zum Zeitpunkt der Abmahnung in ganz besonderem Maße prekär waren. Sie verfügte unstreitig über keine hinreichende eigene Finanzausstattung. Ihr im Zeitpunkt der Abmahnung bestellter Geschäftsführer war vermögenslos. Zudem war sie nicht in der Lage, auf rechtskräftig titulierte Kostenforderungen aus Gerichtsverfahren zu leisten, sondern musste sich insoweit der Hilfe Dritter bedienen. Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund würde ein objektiv agierender und vernünftig denkender Geschäftsmann allenfalls in solchen Fällen abmahnend gegenüber einem Wettbewerber tätig werden und sich dem damit verbundenen Kostenrisiko aussetzen, wenn er an der Abmahnung ein Interesse hat. Dies kann bei dem vorliegend abgemahnten Impressumsverstoß nicht angenommen werden.

OLG Jena, Urt. v. 6.10.2010 - 2 U 386/10

Entschließt sich eine finanzschwache GmbH zu einer umfangreichen Abmahn- und Prozesstätigkeit, ist dies mit einem vernünftigen kaufmännischen Gebaren nicht vereinbar, sondern indiziert rechtsmissbräuchliches Vorgehen bei der Abmahnung.

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