Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

 

 

a) Arzneimittel

Die Eingangsfrage für die Anwendung der meisten im Arzneimittelrecht einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ist, ob es sich bei dem Produkt, dessen Herstellung, Bewerbung oder Verwendung rechtlich beurteilt werden muss, um ein Arzneimittel handelt oder nicht. Im Einzelfall müssen Arzneimittel von Medizinprodukten, Lebensmitteln, kosmetischen Mitteln oder Zusatzstoffen abgegrenzt werden. Ein Produkt kann nicht zweier- oder mehrerlei von den vorgenannten Produkten gleichzeitig sein.

Der Arzneimittelbegriff wird in § 2 AMG definiert. § 2 AMG ist allerdings im Lichte der einschlägigen europarechtlichen Normen (Art. 1 Richtlinie 2004/27/EG) auszulegen.

Sowohl im AMG wie im europäischen Recht wird unterschieden zwischen Funktionsarzneimittel und Bezeichnungsarzneimitteln (Bestimmungsarzneimitteln).

Art. 1 Richtlinie 2004/27/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel

Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

Arzneimittel:

a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.

BGH, Urt. v. 26.6.2008, I ZR 112/05 - HMB-Kapseln

Nach Art. 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie 2004/27/EG sind (Funktions-)Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder eine medizinische Diagnose zu erstellen oder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Aufgrund der in diese Begriffsbestimmung neu aufgenommenen Wirkungserfordernisse sind nunmehr für den Arzneimittelbegriff objektive Merkmale des Produkts in höherem Maße von Bedeutung als nach der früher maßgeblichen Definition des Art. 1 Nr. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie 65/65/EWG.

An dem Begriff des Arzneimittels "nach der Bezeichnung" hat sich durch die gemäß Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2004/27/EG geänderte Fassung des Art. 1 der Richtlinie 2001/83/EG, die nunmehr klarstellend auf Stoffe oder Stoffzusammensetzungen abstellt, die als Mittel "mit Eigenschaften" zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, inhaltlich nichts geändert.

EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C‑358/13 und C‑181/14, Tz. 42 - Synthetische Cannabinoide

Die zuständige nationale Behörde, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig wird, muss die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des „Arzneimittels“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 fällt, von Fall zu Fall treffen und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (Urteile Upjohn, C‑112/89 Tz. 23, und BIOS Naturprodukte, C‑27/08, EU:C:2009:278, Rn. 18).

Beide Begriffsbestimmungen müssen im Lichte der Ziele der Richtlinie verstanden werden. Zwischen ihnen besteht eine Wechselbeziehung.

EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C‑358/13 und C‑181/14, Tz. 29 - Synthetische Cannabinoide

Auch wenn diese beiden Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 durch das Wort „oder“ voneinander getrennt sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie in keiner Beziehung zueinander stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Upjohn, C‑112/89, Tz. 18), und sie müssen daher in Verbindung miteinander gelesen werden. Das setzt voraus, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht so verstanden werden können, dass sie im Gegensatz zueinander stehen.

EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C‑358/13 und C‑181/14, Tz. 34 - Synthetische Cannabinoide

Die Definition in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 nimmt auf „Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten“ Bezug. Aus dieser Wendung lässt sich eindeutig das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit ableiten.

EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C‑358/13 und C‑181/14, Tz. 38 - Synthetische Cannabinoide

Der Begriff des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 ist dahin auszulegen, dass er keine Stoffe erfasst, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein.