Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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b) Selektive Vertriebssysteme

 

1. Was sind selektive Vertriebssysteme

2. Rechtliche Rahmenbedingungen selektiver Vertriebssysteme

3. Wettbewerbsrechtlicher Schutz selektiver Vertriebssysteme

a. Kartellrechtlich unzulässige Vertriebssysteme

b. Kartellrechtlich zulässige Vertriebssysteme

4. Verleiten zum Vertragsbruch

5. Schleichbezug

6. Entfernung von Warencodierungen (Kontrollnummern)

a. Zweck von Kontrollnummern

b. Kontrollnummernentfernung

Lückenlosigkeit des Vertriebssystems

i. Theoretische (gedankliche) Lückenlosigkeit

ii. Praktische Lückenlosigkeit

c. Irreführung über Entfernung einer Warencodierung

d. Rechtsansprüche bei der Entfernung von Warencodierungen

i. Auskunft über die Bezugsquelle

ii. Vernichtungsanspruch

iii. Schadenersatz

7. Markenrechtliche Ansprüche bei der Entfernung von Warencodierungen

Was sind selektive Vertriebssysteme

Beim selektiven Vertriebssystem wird die Ware vom Hersteller über ausgewählte Händler verkauft, die sie ihrerseits nur an andere autorisierte Händler oder Endabnehmer weitervertreiben dürfen. Ein bekanntes Beispiel ist der Vertrieb von Luxusartikeln, der nur über autorisierte Fachgeschäfte erfolgt. Dahinter steht ein System von komplexen vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Hersteller und den autorisierten Wiederverkäufern.

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Rechtliche Rahmenbedingungen selektiver Vertriebssysteme

 

Solche Vertragssysteme sind nicht unproblematisch. Ein Vertragssystem, mit dem ein Unternehmer eine Vielzahl von anderen Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten beim Weitervertrieb seiner Waren oder Dienstleistungen verpflichtet, verstößt gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Amtsblatt der EU v. 10.3.2010, C83, dort S. 88), der alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verbietet, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

Art. 101 Abs. 3 AEUV erlaubt aber u.a.  Ausnahmen von diesem Verbot für bestimmte Gruppen von Verträgen. Dazu gehören Vereinbarungen zur Begründung und Durchführung von selektiven Vertriebsbindungssystemen. Sie legen im Wesentlichen fest, wer die Waren oder Dienstleistungen eines bestimmten Anbieters einkaufen und unter welchen Voraussetzungen verkaufen darf.

Die Voraussetzungen, die ein selektives Vertriebssystem erfüllen muss, um in den Genuss des Art. 101 Abs. 3 AEUV zu gelangen und vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV befreit zu sein, ergeben sich aus der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 über die Anwendung von Art. 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen.

BGH, Urt. v. 29. 9.1988, I ZR 57/87, II.2.b - Synthesizer (= GRUR 1989, 110)

Der Hersteller/Unternehmer ist zwar nach allgemeinen Grundsätzen frei in der Auswahl seiner eigenen Vertragspartner. Er ist deshalb auch, abgesehen von besonderen gesetzlichen Beschränkungen, wie sie etwa das GWB enthält, nicht gehalten, ihm nicht genehme Abnehmer zu beliefern. Es  geht jedoch darüber hinaus, wenn versucht wird, mit Hilfe der Nummerierung von Waren auch die Auswahl der Abnehmer der Abnehmer zu steuern. Eine solche Regulierung kann ein Unternehmen im Einklang mit der Rechtsordnung nur durch die Einführung eines vertraglichen Vertriebsbindungssystems erreichen.

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Wettbewerbsrechtlicher Schutz selektiver Vertriebssysteme

 

Beim wettbewerbsrechtlichen Schutz selektiver Vertriebssysteme ist zu differenzieren zwischen kartellrechtlich  zulässigen und kartellrechtlich unzulässigen Vertriebssystemen. Die kartellrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit beurteilt sich im wesentlichen nach aus der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 über die Anwendung von Art. 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen.

BGH, Urt. v. 15.7.1999, I ZR 14/97 - Entfernung der Herstellungsnummer I (GRUR 1999, 1109)

Von einem rechtlich zu missbilligenden Vertriebssystem kann jedenfalls dann nicht gesprochen werden, wenn es auf (kartellrechtlich) wirksamen Verträgen beruht und wenn es darüber hinaus entsprechend den EG-kartellrechtlichen Anforderungen - nach der Art der zu vertreibenden Waren zu urteilen - einem berechtigten Interesse sowohl des Herstellers als auch des Handels dient sowie vom Hersteller diskriminierungsfrei angelegt worden ist und entsprechend gehandhabt wird.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung gab es noch keine Freistellungsverordnung für selektive Vertriebssysteme.

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Kartellrechtlich unzulässige Vertriebssysteme

 

Kartellrechtlich unzulässige Vertriebssysteme genießen wettbewerbsrechtlich keinen Schutz.

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Kartellrechtlich zulässige Vertriebssysteme

 

Kartellrechtlich zulässige Vertriebssysteme sind nur gegen bestimmte Maßnahmen, das Vertriebssystem zu umgehen, geschützt.

Die Missachtung eines rechtlich zulässigen Vertriebsbindungssystems durch einen dem System nicht angehörenden Händler („Außenseiter“) ist an sich nicht verwerflich. Wer Ware von einem autorisierten Händler zum Zwecke des Weiterverkaufs bezieht, verhält sich nicht wettbewerbswidrig. Darin kann ein weitgehend unproblematisches Ausnutzen eines Vertragsbruchs des autorisierten Händlers liegen. Dessen Verpflichtung gegenüber dem Initiator des Vertriebssystems muss dem Außenseiter nichts angehen.

BGH, Urt. v. 1.12.1999, I ZR 130/96, III.2.a - Außenseiteranspruch II

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH handelt der Kaufmann, der den Vertragsbruch eines Vertragspartners seines Wettbewerbers nur ausnutzt, ohne den Gebundenen zu dem Vertragsbruch zu verleiten, nicht wettbewerbswidrig, solange nicht besondere die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Wettbewerber und seinem Vertragspartner Dritten gegenüber im Allgemeinen keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag und dass die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes schon bei einem Ausnutzen fremden Vertragsbruchs gewissermaßen zu einer - im Interesse der Verkehrsfähigkeit unerwünschten - Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen führen würde.

Ein rechtlich zulässiges selektives Vertriebssystem ist nur gegen bestimmte Störmaßnahmen Dritter geschützt. Es ist unzulässig,

Außerdem ist es verboten, Markierungen von Waren (Kontrollnummern, Barcodes etc.), die der Kontrolle des rechtlich zulässigen Vertriebssystems dienen, zu beseitigen, um die Herkunft der Ware zu kaschieren.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.2002, 20 U 15/02, 1. (= GRUR 2003, 89)

Nach der Rechtsprechung des BGH handelt ein Händler, der - sonst ausschließlich im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems vertriebene - Waren anbietet, ohne selbst zu dem Kreis der Vertragshändler zu gehören, nicht wettbewerbswidrig, wenn die Waren nur auf Grund des Vertragsbruchs eines gebundenen Händlers in seinen Besitz gelangt sein können. Der Vertrieb eines Außenseiters ist (von der Beseitigung von Kontrollnummern abgesehen) nur dann als sittenwidrig anzusehen, wenn er mittels Schleichbezugs oder Verleitung des Händlers zum Vertragsbruch vorgeht; ein bloßes Ausnutzen eines Vertragsbruchs des Händlers reicht demgegenüber nicht aus.

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Verleiten zum Vertragsbruch

 

Die Störung eines rechtlich zulässigen Vertriebssystems durch das Verleiten eines autorisierten Händlers zum Vertragsbruch ist wettbewerbswidrig. Zum sog. Verleiten zum Vertragsbruch siehe hier. Dafür genügt noch nicht, dass ein Außenseiter bei einem autorisierten Vertragshändler anfragt, ob er bereit ist, Ware an Dritte zu Zwecken des Wiederverkaufs zu liefern.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.4.2002, 20 U 15/02, 2.b (= GRUR 2003, 89)

In der bloßen Anfrage eines Außenseiters an einen gebundenen Händler, ob dieser zu Verkäufen bereit sei, kann ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht gesehen werden.

Die Störung eines rechtlich unzulässigen Vertriebssystems durch das Verleiten eines autorisierten Händlers zum Vertragsbruch ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Andernfalls führte dies dazu, dass das rechtlich unzulässige Vertriebssystem dennoch den Schutz der Rechtsordnung genießen würde. Ergänzend kommt hinzu, dass die Bindungsklausel im Vertrag zwischen dem ‚autorisierten‘ Händler und dem Initiator des Vertriebssystems rechtlich unzulässig ist, so dass der ‚autorisierte‘ Vertragshändler diesbezüglich keinen Vertragsbruch begehen kann.

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Schleichbezug

 

Zum unzulässigen Schleichbezug siehe hier.

Die Störung eines rechtlich unzulässigen Vertriebssystems durch einen Schleichbezug ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Andernfalls führte dies dazu, dass das rechtlich unzulässige Vertriebssystem dennoch den Schutz der Rechtsordnung genießen würde.

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Entfernung von Warencodierungen (Kontrollnummern)

 

Warencodierungen sind sämtliche durch die Sinne oder durch technische Verfahren wahrnehmbaren Zeichen an, in oder auf Produkten, mit denen das Produkt, eine Produktcharge, der Hersteller oder ein anderes Merkmal wie der Vertriebsweg identifiziert werden kann. Ein Beispiel sind Kontrollnummern.

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Zweck von Kontrollnummern

Warencodierungen können dazu eingesetzt werden, die Einhaltung eines Vertriebssystems zu kontrollieren und den Vertriebsweg von Waren zu identifizieren, die außerhalb des Vertriebssystems angeboten werden.

BGH, Urt. v. 21.2.2002, I ZR 140/99, II.1.a.aa - Entfernung der Herstellungsnummer III

Ein dem Vertriebssystem nicht angehörender Händler handelt nicht allein deswegen wettbewerbswidrig, weil er vertriebsgebundene Ware unter Ausnutzung des Vertragsbruchs eines Vertragshändlers erwirbt und weiterveräußert. Es steht dem Hersteller, der ein rechtlich nicht zu missbilligendes Vertriebsbindungssystem betreibt, aber frei, die Vertragstreue seiner Vertragshändler durch ein Nummernsystem zu kontrollieren. Wird der Hersteller bei dieser legitimen Kontrolle dadurch behindert, dass ein Wettbewerber die Kontrollnummern entfernt oder Ware vertreibt, bei der die Kontrollnummern entfernt wurden, steht ihm gegenüber dem Wettbewerber ein Anspruch aus § 4 Nr. 10 UWG zur Seite.

Ebenso BGH, Urt. v. 1.12.1999, I ZR 130/96, III.3 - Außenseiteranspruch II

BGH, Urt. v. 29. 9.1988, I ZR 57/87, II.2.a - Synthesizer (= GRUR 1989, 110)

Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Nummerierung von Produkten jedenfalls auch dazu dienen soll und geeignet ist, den Vertriebsweg der Ware mit dem Ziel zu kontrollieren, nicht genehme Händler vom Vertrieb auszuschließen und ihre Lieferanten zur Einstellung der Belieferung zu veranlassen oder sie selbst von der Weiterbelieferung auszusperren. Dem steht nicht entgegen, dass das Nummernsystem auch anderen Zwecken dienen soll und dienen kann. Denn solche Zwecke - im wesentlichen werden Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr, zum Schutz der Verbraucher und zur Qualitätsaufsicht im Hinblick auf Fertigungsmängel und Kundendienst geltend gemacht - müssen es nicht ausschließen, dass das Überwachungssystem auch zur Vertriebskontrolle verwendet wird.

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Kontrollnummernentfernung

Außenseiter, die systemgebundene Waren anbieten, haben ein Interesse daran, die Warencodierungen zu entfernen, um den Vertriebsweg zu verschleiern. Das ist bei rechtlich zulässigen selektiven Vertriebssystemen unzulässig, wenn sie vom Initiator diskriminierungsfrei (lückenlos) gehandhabt werden:

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Lückenlosigkeit des Vertriebssystems?

Neben der kartellrechtlichen Zulässigkeit war es früher erforderlich, dass das verletzte Vertriebsbindungssystem vom Initiator theoretisch und praktisch lückenlos betrieben wurde. Theoretisch hieß, dass die Konzeption des Vertriebssystems keinen Bezug der Ware durch Außenseiter erlaubt; praktisch hieß, dass Verletzungen des Vertriebssystems vom Initiator ausnahmslos verfolgt werden.

Die Voraussetzung der praktischen Lückenlosigkeit wurde mittlerweile vom BGH aufgegeben. Die theoretische (gedankliche) Lückenlosigkeit ist aber weiterhin Voraussetzung für den Schutz eines Kontrollnummernsystems. Allerdings wurden auch die Voraussetzungen der theoretischen Lückenlosigkeit modifiziert.

BGH, Urt. v. 15.7.1999, I ZR 14/97 - Entfernung der Herstellungsnummer I (GRUR 1999, 1109)

Bei dem Erfordernis der Lückenlosigkeit handelt es sich nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung für selektive Vertriebssysteme. …

Hat die Lückenlosigkeit eines Vertriebssystems auf seine Wirksamkeit bzw. auf die Wirksamkeit der zugrundeliegenden Verträge keinen unmittelbaren Einfluss, so ist sie doch insofern von Bedeutung, als nicht jedem auf wirksamen Verträgen beruhenden Vertriebssystem der besondere Schutz zuteil wird, der darin besteht, dass die Entfernung der zur Kontrolle des Systems verwendeten Nummern unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung unterbunden werden kann. Dieser besondere Schutz kann vielmehr nur einem Vertriebssystem zukommen, das rechtlich nicht zu missbilligen ist.

… Hierzu zählt, dass der Hersteller innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsraums die Händler, die er beliefert, grundsätzlich denselben vertraglichen Verpflichtungen unterwirft und dass er - bei Lieferungen an Abnehmer außerhalb dieses Gebiets durch eine entsprechende vertragliche Absicherung oder gegebenenfalls mit Hilfe des Markenrechts - dafür Sorge trägt, dass innerhalb des Wirtschaftsraums nur die systemgebundenen Händler als Anbieter seiner Waren auftreten dürfen, dass also das System innerhalb des Wirtschaftsgebietes gedanklich lückenlos ist. ...

Dagegen hängt die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Bewertung eines Vertriebssystems nicht von seiner praktisch lückenlosen Durchführung ab. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob an der praktischen Lückenlosigkeit als einer Voraussetzung für die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen gegenüber Außenseitern festzuhalten ist. Tatsächliche Lücken in einem Vertriebssystem können nicht bereits seine rechtliche Missbilligung begründen und dazu führen, dass Versuche, diese Lücken zu schließen, ebenfalls rechtlich zu missbilligen wären. … Es geht nicht an, dass einerseits die rechtliche Billigung und Anerkennung des Vertriebssystems von der praktischen Lückenlosigkeit abhängig gemacht wird und andererseits dem Hersteller unter Hinweis auf die fehlende rechtliche Billigung des Vertriebssystems der Einsatz von Kontrollmöglichkeiten - wie beispielsweise der Einsatz eines Nummernsystems - verwehrt wird.

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Theoretische (gedankliche) Lückenlosigkeit

 

BGH, Urt. v. 5.10.2000, I ZR 1/98, II.1.c.bb Kontrollnummernbeseitigung II

Das Erfordernis der gedanklichen Lückenlosigkeit hat insofern nach wie vor Bedeutung, als der wettbewerbsrechtliche Schutz eines Nummernsystems einem gespaltenen Vertrieb, bei dem ein Teil eines einheitlichen Wirtschaftsraums über gebundene Händler, ein anderer Teil ohne Vertriebsbindung versorgt wird, nicht zugute kommen kann. Denn bei einer solchen Spaltung der Vertriebswege bestünde die Gefahr, daß der Hersteller das Nummernsystem einsetzt, um nicht nur die Vertragstreue der gebundenen Händler, sondern auch die Vertriebswege außerhalb des selektiven Vertriebs zu überwachen und beispielsweise preisaktive Händler vom weiteren Vertrieb auszuschließen. Stünde der lauterkeitsrechtliche Schutz auch einem lückenhaften Vertriebssystem zur Seite, wäre es etwa einem Hersteller mit Hilfe eines Nummernsystems möglich, die Märkte innerhalb der Europäischen Union in der Weise abzuschotten, daß der selektive Vertrieb auf einzelne Mitgliedstaaten beschränkt würde und Querlieferungen durch ungebundene Händler aus anderen Mitgliedstaaten durch die Weigerung weiterer Belieferung bestraft würden.

BGH, Urt. v. 5.10.2000, I ZR 1/98, III. - Kontrollnummernbeseitigung II

Das Berufungsgericht lediglich zu prüfen haben, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin ein gespaltenes Vertriebssystem unterhalten, bei dem ein Teil des Marktes unbeschränkt, ein anderer Teil durch gebundene Vertragshändler versorgt wird. Sind solche Anhaltspunkte nicht zu erkennen, brauchen an den Nachweis der einheitlichen Bindung nicht notwendig dieselben hohen Anforderungen gestellt zu werden, die in der Vergangenheit im Rahmen des Außenseiteranspruchs an das Merkmal der gedanklichen Lückenlosigkeit gestellt wurden.

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Praktische Lückenlosigkeit

 

BGH, Urt. v. 1.12.1999, I ZR 130/96, III. - Außenseiteranspruch II

Die praktische Lückenlosigkeit ist entgegen der früheren Rechtsprechung weder Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Vertriebsbindungssystems, noch kann der Anspruch gegenüber dem Außenseiter von diesem Erfordernis abhängig gemacht werden.

BGH, Urt. v. 5.10.2000, I ZR 1/98, II.1.c.aa - Kontrollnummernbeseitigung II

Wie der Bundesgerichtshof … ausgeführt hat, ist für die Frage, ob einem Vertriebsbindungssystem ein flankierender wettbewerbs- oder auch markenrechtlicher Schutz zukommen kann, nicht mehr auf das Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit abzustellen. Denn der flankierende Schutz dient gerade dazu, dem Hersteller eine Möglichkeit an die Hand zu geben, (praktische) Lücken seines Systems zu schließen, indem er überprüft, ob die gebundenen Vertragshändler ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen einhalten, und gegebenenfalls gegen einen vertragsbrüchigen Händler vorgeht.

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Irreführung über Entfernung einer Warencodierung

s.a. Irreführung durch Unterlassen

Ein Händler führt über die Entfernung einer Warencodierung durch deren Verschweigen nur in die Irre, wenn er zur Aufklärung verpflichtet ist. Das ist in der Regel nicht der Fall.

BGH, Urt. v. 15.7.1999, I ZR 204/96, II.2.b – Kontrollnummernbeseitigung I (= GRUR 1999, 1017)

Würde es an einer sichtbaren Veränderung der Verpackung fehlen, die noch von einem hinreichend großen Teil der Verbraucher als Beeinträchtigung ihres Aussehens beurteilt wird, wäre die an der Verpackung vorgenommene Manipulation für den Kaufentschluß im allgemeinen nicht so bedeutend, daß darüber aufgeklärt werden müßte.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß für diejenigen, die Parfum und Kosmetikartikel für den eigenen Gebrauch erwerben, nur in seltenen Fällen bedeutsam ist, ob die Verpackung unverändert geblieben ist; dies jedenfalls so lange, als Manipulationen geschickt verdeckt sind. Eine relevante Irreführung durch Vertrieb von Waren, an deren Verpackung zur Beseitigung der Kontrollnummern Veränderungen stattgefunden haben, scheidet auch bei solchen Verbrauchern aus, die zwar Wert auf eine tadellose Verpackung legen, insbesondere weil sie die Ware verschenken wollen, aber wissen, daß der Vertrieb solcher Produkte Unternehmen wie der Bekl., die nicht in die Vertriebssysteme oder Hersteller eingebunden sind, nur möglich ist, wenn sie ihre Bezugsquellen durch Beseitigen der Kontrollnummern verschleiern. Solche Verbraucher rechnen mit einer Beschädigung der Verpackung und erwarten lediglich, daß diese gegebenenfalls so abgedeckt ist, daß sie nicht auffällt.

Die verbleibenden Verbrauchergruppen, die Wert auf eine einwandfreie Verpackung legen, werden sich in weitem Umfang nicht getäuscht sehen, wenn sie Ware erhalten, an deren Verpackung etwaige Manipulationen nicht ohne besondere Sachkunde erkennbar sind. Danach verbleiben nach der Lebenserfahrung nur noch verhältnismäßig wenige Verbraucher, aus deren Sicht Parfum- und Kosmetikartikel mit einer Beschädigung der Verpackung, die durch Entfernung der Kontrollnummer entstanden ist, auch bei sehr geschickter Abdeckung der Beschädigung mängelbehaftet sind, weil die Manipulation vielleicht doch erkannt werden könnte.

Eine ausdrückliche Aufklärung dieser kleinen Verbrauchergruppe über - sei es auch noch so geschickt kaschierte - Verpackungsbeschädigungen ist aber bei Berücksichtigung auch der Interessen der Bekl. als Werbender wettbewerbsrechtlich nicht geboten.

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Rechtsansprüche bei der Entfernung von Warencodierungen

 

Zu den Rechtsansprüchen, die aus einem Wettbewerbsverstoß folgen, siehe hier. Bei der Entfernung von Warencodierungen gilt insbesondere eine Besonderheiten, nämlich ein Anspruch auf Auskunft über die Bezugsquelle:

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Auskunft über die Bezugsquelle

 

BGH, Urt. v. 21.2.2002, I ZR 140/99, II.1.a.dd - Entfernung der Herstellungsnummer III

Ein selbstständiger Anspruch auf Auskunft über die Bezugsquellen lässt sich aus § 4 Nr. 10 UWG i.V. mit § 242 BGB herleiten.

BGH, Urt. v. 17.5.2001, I ZR 291/98, II.1.a – Entfernung der Herstellernummer II

Der Anspruch auf Auskunft besteht auch, wenn der Geschädigte im Wege der Drittauskunft die Benennung der Lieferanten der Parfüms, bei denen in rechtswidriger Weise die Herstellungsnummer entfernt worden war, verlangt, um gegen diese Unterlassungsansprüche und möglicherweise Auskunftserteilungs- sowie Schadensersatzansprüche geltend machen zu können.

BGH, Urt. v. 17.5.2001, I ZR 291/98, II.1.c – Entfernung der Herstellernummer II

Der Anspruch auf Drittauskunft dient nicht der Unterbindung von Wettbewerbsverstößen des Auskunftspflichtigen selbst, sondern der Verhinderung von Wettbewerbsverstößen Dritter. Während der Auskunftsanspruch zur Vorbereitung eines gegen den Auskunftspflichtigen selbst gerichteten Hauptanspruchs voraussetzt, dass der durch die Verletzungshandlung eingetretene Störungszustand fortdauert, besteht ein Anspruch auf Auskunft über die Bezugsquelle schon dann, wenn es allein um die Vermeidung künftiger vergleichbarer Beeinträchtigungen geht. Die Nennung der Bezugsquelle soll es dem Berechtigten ermöglichen, die Quelle zu verschließen, aus der die Rechtsverletzung fließt und jederzeit erneut fließen kann.

BGH, Urt. v. 17.5.2001, I ZR 291/98, II.1.g – Entfernung der Herstellernummer II

Der Auskunftserteilungsanspruch ist seinem Inhalt nach auf den konkreten Verletzungsfall beschränkt. Der Rechtsverletzer ist nicht verpflichtet, der Klägerin Auskunft über etwaige andere an sie erfolgte Lieferungen von Parfüms ohne Herstellungsnummer aus deren Produktpalette zu erteilen. Der Nachweis bestimmter Verletzungshandlungen reicht schon grundsätzlich nicht aus, um einen Anspruch auf Auskunft auch über alle möglichen anderen Verletzungshandlungen zu begründen; denn dies liefe darauf hinaus, einen rechtlich nicht bestehenden allgemeinen Auskunftsanspruch anzuerkennen und der Ausforschung unter Vernachlässigung allgemein gültiger Beweislastregeln Tür und Tor zu öffnen.

BGH, Urt. v. 17.5.2001, I ZR 291/98, II.2 – Entfernung der Herstellernummer II

Der Auskunftsanspruch kann sich auf Umstände erstrecken, die der Berechtigte benötigt, um die Verlässlichkeit der Auskunft überprüfen zu können. Dies kann im Einzelfall ausnahmsweise auch einen Anspruch auf Belegvorlage rechtfertigen.

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Vernichtungsanspruch

BGH, Urt. v. 21.2.2002, I ZR 140/99, II.1.a.dd - Entfernung der Herstellungsnummer III

Ein Vernichtungsanspruch ist nur unter strengeren Voraussetzungen zu bejahen als im Markenrecht; er setzt - als ein Unterfall des Beseitigungsanspruchs - voraus, dass die von den Gegenständen ausgehende Gefahr weiterer Rechtsverletzungen nicht auf andere - mildere - Weise beseitigt werden kann.

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Schadenersatz

 

BGH, Urt. v. 21. 2. 2002, I ZR 140/99, II.4 - Entfernung der Herstellungsnummer III

Allein der Umstand des Vertriebs von Produkten mit manipulierten Herstellungsnummern begründet keinen Schadensersatzanspruch, wenn nicht der Gläubiger im Einzelnen dargelegt hat, dass ihm auf Grund des wettbewerbswidrigen Verhaltens ein Schaden entstanden ist. Auch daraus, dass vorliegend auch ein markenrechtlicher Schadensersatzanspruch in Betracht zu ziehen ist, ergibt sich nichts anderes. Es ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin auf Grund des Verhaltens der Beklagten Verkaufschancen entgangen wären. Für die Waren, um deren Vertrieb es geht, hat die Klägerin von ihrem Vertragshändler auch das vereinbarte Entgelt erhalten. Zu einer Marktverwirrung kommt es in den Fällen nicht, in denen die Veränderungen vom Verbraucher nicht oder kaum wahrgenommen werden und in denen sich das Risiko eines Rückrufs nicht realisiert.

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Markenrechtliche Ansprüche bei der Entfernung von Warencodierungen

BGH, Urt. v. 21. 2. 2002, I ZR 140/99, II.1.b.aa, bb - Entfernung der Herstellungsnummer III

Die Entfernung oder Veränderung der - legitimen Zwecken dienenden - Kontrollnummer führt im Allgemeinen dazu, dass eine markenrechtliche Erschöpfung nicht eintritt, so dass dem Hersteller als Inhaber oder gegebenenfalls als Lizenznehmer  auch markenrechtliche Ansprüche gegen die Weiterverbreitung der veränderten Ware zustehen. Dies hat der BGH in der Entscheidung „Kontrollnummernbeseitigung II” konkretisiert und klargestellt, dass sich der Hersteller gegen den Weitervertrieb der veränderten Ware mit Hilfe des Markenrechts immer dann wenden kann, wenn mit der Entfernung der Kontrollnummern ein sichtbarer, die Garantiefunktion der Marke berührender Eingriff in die Substanz der Ware, des Behältnisses oder der Verpackung verbunden ist. Damit wurde gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass die Erschöpfung des Markenrechts nach § 24 Abs. 2 MarkenG nicht allein deswegen ausgeschlossen ist, weil Ware außerhalb eines geschlossenen Vertriebssystems angeboten wird.

BGH, Urt. v. 1.12.1999, I ZR 130/96, III.3 - Außenseiteranspruch II

Handelt es sich um ein nach deutschem und europäischem Kartellrecht unbedenkliches System und ist - beispielsweise aufgrund einer diskriminierungsfreien Behandlung aller Abnehmer innerhalb des in Rede stehenden Wirtschaftsraums - ein Missbrauch nicht zu erwarten, steht es dem Hersteller frei, die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch ein Nummernsystem zu kontrollieren. Wird dem Hersteller die Kontrolle eines solchen nicht zu beanstandenden Systems durch die Entfernung oder durch das Unkenntlichmachen der Kontrollnummern erschwert, steht ihm auch gegenüber dem Außenseiter, der eine solche veränderte Ware vertreibt, unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung ein Unterlassungsanspruch nach § 4 Nr. 10 UWG zur Seite. Außerdem wird die Entfernung oder Veränderung der - legitimen Zwecken dienenden - Kontrollnummer im allgemeinen dazu führen, dass eine Erschöpfung nicht eintritt (§ 24 Abs. 2 MarkenG), so dass dem Hersteller insoweit auch markenrechtliche Ansprüche gegen die Weiterverbreitung der veränderten Ware zustehen werden.

Ob markenrechtliche Ansprüche auch bestehen, wenn die Entfernung der Warencodierung mit keiner für den Endabnehmer spürbaren Veränderung der Ware einhergeht, wurde in der Rechtsprechung noch nicht geklärt und dürfte zu verneinen sein, weil das Markenrecht nicht genuin der Kontrolle von Vertriebssystemen dient und nicht wahrnehmbare Beeinträchtigungen der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht entgegen stehen können. Etwas anderes gilt aber, wenn die Warencodierung anderen Zwecken als der Kontrolle eines Vertriebssystems dient, z.B. der Gefahrenabwehr. Dazu siehe hier.

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Omsels, Online-Kommentar zum UWG:

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