Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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§ 8c Abs. 2 Nr. 3 - Überhöhte Gegenstandswerte

1. Gesetzestext und -begründung

2. Kommentierung

3. Rechtsprechung zu § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG

4. Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F.)

Gesetzestext und -begründung

(2) Eine missbräuchliche Geltendmachung liegt insbesondere vor, wenn

3. ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt

Gesetzesbegründung in BT-Drcks. 19/12084, Seite 29

Die Missbrauchsvermutung in Nummer 3 bezieht sich auf eine überhöhte Ansetzung des Gegenstandswerts durch Mitbewerber. Dies ist ein typisches Missbrauchsanzeichen, da der abmahnende Mitbewerber infolge eines höheren Gegenstandswertes einen höheren Aufwendungsersatz beanspruchen kann. Die übrigen Anspruchsberechtigten nach § 8 Absatz 3 können dagegen lediglich eine Kostenpauschale beanspruchen, weswegen der Gegenstandswert unerheblich ist.

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Kommentierung

Die Vorschrift ist plausibel. Abmahnungen sollen nicht zum Geschäftsmodell werden, mit dem sich ein schneller Euro verdienen lässt. Darauf deutet es aber hin, wenn Abmahnungen überhöhte Gegenstandswerte zugrunde gelegt werden, da sich dadurch der Ersatzanspruch erhöht und ‚mehr Geld reinkommt‘.

Es gibt aber zwei Probleme mit dem Missbrauchstatbestand:

1. Den Gegenstandswert bestimmt nicht das Unternehmen, sondern sein Rechtsanwalt, der mit der Abmahnung Geld verdient. Das Unternehmen hat nur Anspruch auf Ersatz der Kosten, die es selbst dem Rechtsanwalt schuldet. Es verdient an der Abmahnung nichts (, wenn alles mit rechten Dingen zugeht). § 8c Abs. 3 Nr. 3 UWG kann mithin darauf hinauslaufen, dass dem Unternehmen Rechtsmissbrauch mit der Konsequenz des Wegfalls des Unterlassungsanspruchs vorgeworfen werden kann, obwohl es nur sein Anwalt war, der im eigenen Interesse einen zu hohen Gegenstandswert zugrunde gelegt hat.

2. Gegenstandswerte lassen sich nicht mathematisch genau berechnen und hängen von verschiedenen Faktoren ab. Sie können beim selben Rechtsverstoß unterschiedlich hoch sein, je nachdem, wer abmahnt oder angemahnt wird. Wenn ein internationaler Megaplayer einen anderen internationalen Megaplayer behindert, ist der Gegenstandwert dafür drastisch höher als wenn der lokale Bäcker A diesselben Handlung gegenüber Bäcker B vornimmt. Hier 100 oder deutlich mehr Prozent mehr als dort, sind deshalb vertretbar und nicht ‚unangemessen‘ mehr, wie es § 8c Abs. 2 Nr. 3 fordert..

§ 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG wird deshalb wohl eher in Standardfällen zum Zuge kommen, in denen eher auf etablierte Werte aus der Rechtsprechung zurück gegriffen werden kann: Fehler bei Standard-Informationpflichten, Impressum, Widerrufsbelehrung, Datenschutzbestimmungen etc.. Doch auch hier stellt sich die Frage, was unangemessen hoch ist. Solange der Gegenstandswert von einem deutschen Gericht vertreten wird, kann von Unangemessenheit nicht ausgegangen werden. Vielmehr muss die obere Spanne des Vertretenen noch einmal deutlich überschritten werden. Wie deutlich, das hängt auch davon ab, ob es sich um einen Einzelfall handelt oder ob vom Abmahnenden in vergleichbaren Fällen systematisch vorgegangen wird.

Rechtsprechung zu § 8c Abs. 2 Nr. 3

In der Rechtsprechung zeichnet sich die Tendenz ab, dass nicht unangemessen hoch ist, was mit vertretbaren Gründen gerechtfertigt werden kann:

OLG Celle, Beschl. v. 31.5.2021, 13 U 23/21, Tz. 6

Zwar hält auch der Senat den bei der Abmahnung in Ansatz gebrachten Gegenstandswert von 82.500 € (11 Verstöße à 7.500 €) für übersetzt. Der Verfügungskläger hat jedoch nachvollziehbar dargetan, welche Überlegungen sein Prozessbevollmächtigter bei der Bemessung des Streitwerts angestellt hat.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.5.2021, 6 W 23/21, II.4

Die Indizwirkung tritt erst dann ein, wenn die Werte "offensichtlich" überhöht sind. Die ursprüngliche Entwurfsfassung sah vor, dass ein Missbrauch bereits dann indiziert wird, wenn "erheblich" überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden oder eine "erheblich" über die Rechtsverletzung hinausgehende Unterlassungsverpflichtung vorgeschlagen wird. Da sich kaum objektivieren lässt, welche Zuvielforderung "erheblich" ist, wäre eine gravierende Rechtsunsicherheit entstanden. Deshalb wurde der Begriff "erheblich" durch den Begriff "offensichtlich" ersetzt. Damit soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass es nur um eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fehler geht (Kochendörfer, WRP 2020, 1513).

Ebenso OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.7.2021, 6 W 43/21

OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.7.2021, 6 W 43/21

Die Indizwirkung der überhöhten Abmahnkostenersatzforderung beruht darauf, dass der Abmahnende wider besseres Wissen zu hohe Gebühren fordert. 

OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.5.2021, 6 W 23/21, II.4

Gegenstandswerte von zunächst 100.000 € (Abmahnungen vom 03.12.) dann 75.000 € (Abmahnungen vom 18.12.) sowie später 50.000 € bewegen sich angesichts der Tatsache, dass es sich nicht bloß um formale, den Wettbewerb nicht beeinträchtigende Verstöße handelt, jedenfalls nicht in einem derart hohen Bereich, dass man eine offensichtliche Überhöhung annehmen müsste. 

LG Dortmund, Beschl. v. 16.2.2021, 10 O 10/21, Tz. 10

Nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG n.F. ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel schon dann anzunehmen, wenn ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt. Dies muss erst recht dann gelten, wenn nicht  durch die überhöhte Ansetzung eines Gegenstandswertes überhöhte Gebühren in Ansatz gebracht, sondern sogar Gebühren gefordert werden, die schon dem Grunde nach nicht geschuldet werden. So liegt es hier, denn mit dem Abmahnschreiben vom 27.01.2021 werden Gebühren geltend gemacht, obwohl dies vorliegend gemäß § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG n.F. (in Kraft getreten vor Fertigung des Abmahnschreibens, s. o.) ausgeschlossen ist. Nach dieser Norm konnte der Antragsteller keinen Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, weil es um Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten ging.

Zum Ansatz überhöhter Streitwerte in Gerichtsverfahren:

OLG Nürnberg, Urt. v. 18.7.2032, 3 U 1092/23, Tz. 47

Darüber hinaus kann für Rechtsmissbrauch sprechen, wenn in gerichtlichen Verfahren unangemessen hohe (weit überhöhte) Streitwerte angesetzt werden (Goldmann, a.a.O., § 8c Rn. 147). Dabei ist jedoch zum einen zu beachten, dass nach dem in Rechtsstreitigkeiten aus dem Lauterkeitsrecht anzuwendenden § 51 Abs. 2 GKG der Streitwert eigenständig durch das Gericht entsprechend der sich aus dem Antrag des Klägers bzw. Antragstellers ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen ist. Zwar kommt der Streitwertangabe des Anspruchsstellers zu Beginn des Verfahrens eine indizielle Bedeutung für das tatsächlich verfolgte Interesse zu (OLG Frankfurt, LMuR 2022, 134). Diese Wertangabe ist aber für das Gericht nicht bindend, sondern anhand der objektiven Gegebenheiten und unter Heranziehung üblicher Wertfestsetzungen in vergleichbaren Fällen zu überprüfen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 341). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass zu Beginn des Gerichtsverfahrens die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist. Daher ist bei der Annahme von Rechtsmissbrauch wegen überhöhter klägerischer Vorschläge für die gerichtliche Streitwertfestsetzung besondere Zurückhaltung geboten.

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Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F.)

BGH, Urt. v. 6.10.2011, I ZR 42/10, Tz. 13 - Falsche Suchrubrik

Für die Annahme einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung kann sprechen, dass der Abmahnende systematisch überhöhte Abmahngebühren oder Vertragsstrafen verlangt (vgl. OLG Jena, OLG-Rep. 2008, 877, 878; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 8 Rn. 4.12; Fezer/Büscher, UWG, 2. Aufl., § 8 Rn. 287).

BGH, Urt. v. 3.3.2016, I ZR 110/15, Tz. 15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon

Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass ... der Anspruchsberechtigte die Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten bezweckt ....

Ebenso  BGH, Urt. v. 4. Juli 2019, I ZR 149/18, Tz. 47 - Umwelthilfe;BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 21 – Abmahnaktion IIBGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 21 – Abmahnaktion II; OLG Hamburg, Urt. v. 9.2.2017, 3 U 208/15, II.2 – Objektive Preisvergleiche; BGH, Urt. v. 14..2.2019, I ZR 6/17, Tz. 21 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; OLG Nürnberg, Urt. v. 15.1.2019, 3 U 724/18, Tz. 26, 33

OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.10.2015, 20 U 200/14

Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Ein solches sachfremdes Ziel ist auch das Kostenbelastungsinteresse, also das Interesse des Gläubigers, den Verletzer mit möglichst hohen Prozesskosten und Risiken zu belasten und seine persönlichen und finanziellen Kräfte zu binden. ...

Ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, I-20 U 24/15, Tz. 29; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016, 20 U 25/15, Tz. 30

OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.10.2015, 20 U 200/14

Ein Indiz für das Vorliegen eines Kostenbelastungsinteresses ist es, wenn ein schonenderes Vorgehen im Einzelfall möglich und zumutbar ist. Geht der Gläubiger bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß mit mehrfachen Klagen vor und erhöht er dadurch die Kostenlast erheblich, obwohl ein einheitliches Vorgehen für ihn mit keinerlei Nachteilen verbunden wäre, ist dies ein Anhaltspunkt für einen Missbrauch.

Dieser Grundsatz gilt auch, wenn es um die getrennte Verfolgung kerngleicher Verletzungshandlungen geht. Denn die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen in getrennten Verfahren, ist ein Indiz für einen Missbrauch, wenn dem Kläger im Einzelfalls ein schonenderes Vorgehen durch Zusammenfassung seines Begehrens in einem Antrag möglich und zumutbar ist.

Nichts anderes kann gelten, wenn – auf denselben Sachverhalt gestützt – Ansprüche aus Markenrecht und unlauterem Wettbewerb geltend gemacht werden. Dass diese Ansprüche nebeneinander bestehen, … steht dem nicht entgegen und besagt insbesondere nichts dazu, ob diese Ansprüche auch gesondert geltend gemacht werden können.

OLG Jena, Urt. v. 06.10.2010 - 2 U 386/10

Der Senat bejaht Rechtsmissbräuchlichkeit bei der Zugrundelegung von Streitwerten in Abmahnungen, die ein Vielfaches über dem liegen, was nach Ansicht des Senats angemessen ist.

Diese Rechtsprechung des OLG Jena ist insoweit etwas pikant, als das OLG Jena bei der Bestimmung des Gegenstandwerts sehr zurückhaltend ist und der Rechtsmissbrauch deshalb bereits bei Gegenstandswerten angenommen wird, die unter dem Gegenstandswerten anderer Gerichte in gleichen Angelegenheiten liegen. Siehe z.B. die Wertfestsetzung bei unterlassenen oder fehlerhaften Widerrufsbelehrungen.

Allerdings hat das OLG Jena zwischenzeitlich klar gestellt, dass ein - nach seiner Rechtsprechung - deutlich überzogener Gegenstandswert in einem Einzelfall noch keinen Rechtsmissbrauch begründet.

OLG Jena, Beschl. v. 4.3.2013, 2 W 502/12

Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG für den Fall der Zugrundelegung überhöhter Streitwerte setzt jedenfalls voraus, dass dies nicht nur im Einzelfall, sondern in zahlreichen, zumindest mehreren Fällen so gewesen ist. Nur dann kann von einem systematischen Ansetzen überhöhter Streitwerte gesprochen werden.

Auch der BGH erkennt den Ansatz eines überhöhten Gegenstandswerts als ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch an (BGH, Urt. v. 15.12. 2011, I ZR 174/10, Tz. 33 – Bauheizgerät; BGH, Urt. v. 14.2.2019, I ZR 6/17, Tz. 26 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; siehe auch KG Berlin, Urt. v. 15.5.2012, 5 U 148/11, B.1.b.aa(= WRP 2012, 1140)).

Klarstellend aber:

BGH, Urt. v. 31.5.2012, I ZR 106/10, Tz. 25 - Ferienluxuswohnung

Sollte der Kläger der Berechnung der Abmahnkosten … bewusst einen überhöhten Gegenstandswert zugrunde gelegt haben, könnte dieser Umstand für sich genommen keinen Rechtsmissbrauch begründen.

OLG Nürnberg, Urt. v. 15.1.2019, 3 U 724/18, Tz. 26, 33

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei der Bestimmung des Streitwerts eines Unterlassungsanspruchs nicht unerhebliche Spielräume bestehen, so dass ein überhöhter Streitwert nur dann ein Indiz für einen Missbrauch darstellen kann, wenn die Annahme schlicht unhaltbar ist

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