Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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Bagatellgrenze (§ 3 Abs. 1 UWG a.F.)

1. Relevanzkriterium

2. Gerichtliche Praxis

3. Literatur

Relevanzkriterium

 

Nach § 3 Abs. 1 UWG  in der bis November 2015 geltenden Fassung waren unlautere geschäftliche Handlungen nicht in jedem Falle unzulässig. Sie mussten geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen (sog. Bagatellklausel). § 3 Abs. 2 S. 1 UWG (a.F.) formulierte das etwas konkreter und stellt darauf ab, ob die geschäftliche Handlung geeignet ist, "die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte."

In Art. 5 Abs. 2 lit b) der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, dessen Vorgabe für die Anwendung des UWG bindend ist, wird vorausgesetzt, das die geschäftliche Handlung

"das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Ver­brauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen".

Eine geschäftliche Handlung, die nicht geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten wesentlich zu beeinflussen, fällt nicht in den Verbotsbereich der Richtlinie und ist in der Terminologie des deutschen Wettbewerbsrechtlers eine Bagatelle.

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Gerichtliche Praxis

 

Obwohl die gesetzlichen Vorgaben voraussetzten, dass eine geschäftliche Handlung geeignet sein muss, eine geschäftliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen (UGP-Richtlinie) bzw. spürbar zu beeinflussen (UWG-Text), ging die gerichtliche Praxis damit sehr großzügig um. Nahezu alle unzulässigen geschäftlichen Handlungen überschritten die Bagetellgrenze ohne Mühe. Spürbar war eine Beeinträchtigung nach der herrschenden Rechtsprechung bereits dann, wenn sie zwar nicht bloß theoretisch möglich ist, sondern tatsächlich eintreten könnte.

An dieser Rechtsprechung hat sich durch die UWG-Reform 2015 grundsätzlich nichts geändert. Denn die damalige Bagatellklausel musste ebenso wie das heutige Kriterium der spürbaren oder wesentlichen Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher im Lichte der Vorgaben der UGP-Richtlinie ausgelegt werden.

Relevanz kann eine geschäftliche Handlung auch haben, wenn sie ein einziges Mal vorgenommen wurde, und zwar auch, wenn dieser Einzelfall ergebnislos geblieben ist.

BGH, Urt. v. 10.2.2011, I ZR 8/09, Tz. 21 – RC-Netzmittel

Eine geschäftliche Handlung ist auch dann geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen, wenn sie nur in einem einzigen Fall vorgenommen wurde. Die Häufigkeit oder Dauer einer unlauteren Handlung kann zwar deren Spürbarkeit erhöhen. Daraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass eine unlautere Handlung schon deshalb nicht spürbar ist, weil sie nur einmal oder nur für kurze Zeit vorgenommen worden ist. Denn dies fällt in den Bereich der Wiederholungsgefahr, auf die es nicht schon bei der Prüfung, ob das Verhalten unzulässig ist, sondern erst beim Unterlassungsanspruch ankommt. Im Rahmen des dem anspruchsbegründenden Tatbestand zuzurechnenden § 3 Abs. 1 UWG 2008 genügt bereits die Eignung zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Marktteilnehmer.

BGH, Urt. v. 12.2.2015, I ZR 213/13, Tz. 25 – Fahrdienst zur Augenklinik

Bei Vorschriften, die dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, kann die Spürbarkeit von Verstößen gemäß § 3 UWG nur ganz ausnahmsweise verneint werden.

Für die Spürbarkeit einer unzulässigen geschäftlichen Handlung war es lange Zeit ausreichend, dass der Betroffene dem Angebot eines Unternehmers mehr Aufmerksamkeit widmet, als er es ohne das unzulässige Verhalten getan hätte.

BGH, Urt. v. 18.3.2010, I ZR 16/08, Tz. 28 – Versandkosten bei Froogle II

Die beanstandete Werbung ist geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3 Abs. 1, 2 Satz 1 UWG 2008). Dafür genügt es, wenn die Werbeadressaten dazu verleitet werden, sich näher mit einem Angebot des Werbenden statt mit dem Angebot der Konkurrenten zu befassen.

Von dieser Auffassung ist der BGH zwischenzeitlich allerdings wortlos abgerückt:

BGH, Urt. v. 18.12.2014, I ZR 129/13, Tz. 20 - Schlafzimmer komplett

Die Entscheidung des Verbrauchers, sich mit einem beworbenen Angebot in einer Werbeanzeige näher zu befassen, die durch eine blickfangmäßig herausgestellte irreführende Angabe veranlasst worden ist, für sich gesehen mangels eines unmittelbaren Zusammenhangs mit einem Erwerbsvorgang noch keine geschäftliche Entscheidung im Sinne von Art. 2 Buchst. k und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG dar. Die beanstandete Werbeanzeige wäre daher nur als irreführend anzusehen, wenn anzunehmen wäre, dass der Durchschnittsverbraucher nicht durch die weiteren in der Anzeige enthaltenen Angaben davon abgehalten wird, eine auf Irreführung beruhende geschäftliche Entscheidung zu treffen. Davon kann aber keine Rede sein.

In einer anderen Konstellation:

OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.5.2014, I-15 69/14, Tz. 40

Die Eignung zur Beeinträchtigung setzt eine gewisse objektive Wahrscheinlichkeit voraus, dass die konkrete Handlung bei Mitbewerbern einen Schaden durch Einbuße an vorhandenen Vermögenswerten oder durch Minderung ihrer Marktchancen herbeiführen kann. Dafür ist zwar nicht ein bestimmtes Ausmaß der Beeinträchtigung erforderlich, sie muss aber zumindest tatsächlich eintreten können (Köhler in: Köhler/ Bornkamm, UWG, § 3 UWG Rn. 116, 119). Dies hängt maßgeblich davon ab, welche Interessen die verletzte Norm schützen soll, wie hoch sie zu bewerten sind und wie schwerwiegend ihre Verletzung ist (Köhler in: Köhler/Bornkamm, aaO, § 4 UWG Rn. 11.58a).

OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2014, I-20 U 159/13, Tz. 25

Ein Verstoß ist geeignet, den Wettbewerb spürbar zu beeinträchtigen, ... wenn die Beeinträchtigung nicht bloß theoretisch möglich ist, sondern tatsächlich eintritt oder eintreten kann, was eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erfordert (vgl. Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rdrn. 119).

Bei geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern liegt eine spürbare Beeinträchtigung bereits vor, wenn die geschäftliche Handlung dazu geeignet ist, den Verbraucher davon abzuhalten, eine informierte Entscheidung zu treffen. Eine informierte Entscheidung ist nur dann möglich, wenn dem Verbraucher keine falschen Informationen erteilt werden und wenn ihm alle Informationen erteilt werden, die er für seine Entscheidung benötigen könnte.

BGH, Urt. v. 28.6.2007, I ZR 153/04 – Telefonaktion

Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Bagatellgrenze des § 3 UWG überschritten ist, wenn die durch unrichtige Angaben hervorrufende Fehlvorstellung des Verkehrs geeignet ist, das Marktverhalten zu beeinflussen.

Spürbar ist es unter allen Umständen, wen dem Verbraucher gem. § 5a Abs. 2, 4 UWG eine Information vorenthalten wird, die ihm aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung, die ihre Grundlage in einer Verordnung oder Richtlinie der EU hat, erteilt werden muss. Siehe dazu hier.

Die Frage der Spürbarkeit einer Beeinträchtigung stellt sich ebenfalls nicht in bei allen Sachverhalten, die im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG aufgeführt werden (Per-se-Verbote).

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Literatur

a) Köhler hat sich der WRP 2014, 259 in einem Aufsatz mit dem Titel "Zur “geschäftlichen Relevanz” unlauterer geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern" eingehend mit dem Relevanzkriterium auseinandergesetzt. Er unterscheidet dabei zwischen dem Relevanzkriterium in § 3 Abs. 1 UWG (Eignung, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen) und in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG (Eignung, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte). Nach Köhler geht § 3 Abs. 1 UWG dem § 3 Abs. 2 UWG bei geschäftlichen Handlungen vor, die gegen §§ 4, 4 und 5a UWG dienen und in den Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie fallen.

b) Köhler stellt heraus, dass § 3 Abs. 2 S. 1 UWG nach der Richtlinienvorgabe zwei Aspekte habe, die im Einzelfall beide erfüllt sein müssen: die Einwirkung der geschäftlichen Handlung auf die Entscheidungsfähigkeit des Verbrauchers sowie deren Auswirkung auf die Entscheidung des Verbrauchers.

Die UGP-RL wolle sicherstellen, dass der Verbraucher auf der Grundlage richtiger und ausreichender Informationen frei entscheiden könne. Dementsprechend werde die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informationsgeleitete Entscheidung zu treffen,  im Sinne des § 3 Abs. 2 UWG spürbar beeinträchtigt, wenn das Verhalten des Unternehmers ihn davon abhalten kann, die Vor- und Nachteile einer geschäftlichen Handlung zu erkennen, abzuwägen und dann eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die darin bestehen kann, selber bestimmte Handlungen vorzunehmen  oder nicht.

Das Relevanzkriterium verlangt nach § 3 Abs. 2 UWG darüber hinaus außerdem, dass der Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird, die er ohne die konkrete Einwirkung nicht getroffen hätte. Dieser Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Auswirkung sei zwar in der Regel, aber nicht notwendig gegeben. Es müssten die Umstände des Einzelfalls gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Begriff der geschäftlichen Entscheidung, weit gefasst ist. In Anlehnung an die EuGH-Entscheidung Trento Sviluppo bestimmt Köhler sie als "jede tatsächliche Reaktion des Verbrauchers, die einen Zwischenschritt in Richtung auf die vom Unternehmer angestrebte endgültige geschäftliche Entscheidung darstellt". Der EuGh formuliert es allerdings m.E. enger, indem er auf die Entscheidung und nicht eine Reaktion abstellt, weil Reaktionen auch unwillkürlich erfolgen können:

EuGH, Urt. v. 19.12.2013, C‑281/12 - Trento Sviluppo srl u.a. / Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

Nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2005/29 wird der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ weit definiert. Danach ist eine geschäftliche Entscheidung nämlich „jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen will“. Dieser Begriff erfasst deshalb nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen.

Für die Relevanz spricht nach Köhler eine widerlegbare tatsächliche Vermutung, weil die geschäftliche Handlung gerade voraussetzt, dass sie objektiv auf eine Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers gerichtet ist.

c) Zur Bagatellklause des § 3 Abs. 1 UWG stellt Köhler heraus, dass sie im Unterschied zur Rechtslage bis 2004 nicht mehr auf eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs, sondern der Interessen der Marktteilnehmer abstellt. Das Verhältnis zu § 3 Abs. 2 UWG sei noch unklar.

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Zitiervorschlag zur aktuellen Seite

Omsels, Online-Kommentar zum UWG:

http://www.webcitation.org/6OJ2ypR6g