Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

Der Newsletter zum UWG
Registrieren Sie sich hier !


 

 

b) Der sachliche Anwendungsbereich

1. Richtlinienwortlaut

2. Voraussetzung: Geschäftspraktik

3. Geschäftspraktik gegenüber dem Verbraucher

4. Keine Anwendung auf nationale Regelungen ohne Bezug auf den Verbraucherschutz

5. Keine Anwendung auf nationale Regelungen zum Schutz der Mitbewerber

6. Beispiele

7. Sonder- und Ausnahmeregelungen

a. Vorrang spezifischer europarechtlicher Regelungen

b. Vertragsrecht

c. Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten

d. Berufsrechtliche Regelungen

e. Finanzdienstleistungen

Richtlinienwortlaut

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG

Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2005/29/EG

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

„Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrau­chern“ (nachstehend auch „Geschäftspraktiken“ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommer­zielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Ge­werbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Ver­kauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammen­hängt

zurück nach oben

Voraussetzung: Geschäftspraktik

Die Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken setzt zuallerst eine Geschäftspraktik (eines Unternehmers gegenüber Verbrauchern) voraus. Dieser Begriff ist zwar grundsätzlich weit zu verstehen, erfasst aber dennoch nicht jedes Verhalten eines Unternehmers - nicht einmal jedes Verhalten gegenüber einem Verbraucher und zwar auch dann nicht, wenn es geschäftlichen Zwecken des Unternehmers dient und der Verbraucher getäuscht werden kann. Dass ein solches Verhalten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, war zwar lange Zeit Konsens. Nach der Good News-Entscheidung des EuGH ist aber eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Geschäftspraktik maßgeblich.

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 35 - Good News

Wenn eine nationale Bestimmung tatsächlich dem Verbraucherschutz dient, … und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fällt, ist darüber hinaus erforderlich, dass die von der nationalen Bestimmung erfassten Verhaltensweisen Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie sind.

Ebenso EuGH, Urt. v. 2.9.2021, C-371/20, Tz. 31 – Peek & Cloppenburg

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 36 f - Good News

Eine Geschäftspraktik im Sinne der Richtlinie liegt nur vor, wenn sich die betreffenden Praktiken in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Wirtschaftsteilnehmers einfügen und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen zusammenhängen, so dass sie Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 darstellen und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.

Auch wenn die Richtlinie 2005/29 den Begriff der Geschäftspraktiken mit einer besonders weiten Formulierung definiert, müssen diese Praktiken gleichwohl gewerblicher Natur sein, d. h. von Gewerbetreibenden ausgeübt werden, und zudem unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung ihrer Produkte an Verbraucher zusammenhängen.

Handlungen eines Unternehmens, die nicht der Förderung des eigenen Absatzes von Waren oder Leistungen an den Verbraucher dienen, sondern dem Absatz der Waren oder Leistungen eines Dritten, fallen nur in den Anwendungsbereich der Richtlinie, wenn sie im Namen oder Auftrag des anderen vorgenommen werden.

Ebenso EuGH, Urt. v. 2.9.2021, C-371/20, Tz. 31 – Peek & Cloppenburg

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 38 - Good News

Die Richtlinie 2005/29 kann ... in einer Situation anwendbar sein, in der die Geschäftspraktiken eines Wirtschaftsteilnehmers von einem anderen Unternehmen ausgeübt werden, das im Namen und/oder Auftrag dieses Wirtschaftsteilnehmers tätig wird, so dass die Bestimmungen dieser Richtlinie in bestimmten Situationen sowohl diesem Wirtschaftsteilnehmer als auch diesem Unternehmen entgegengehalten werden können, wenn beide der Definition des Gewerbetreibenden entsprechen.

Dies gilt jedoch nicht, wenn das geförderte Unternehmen mit der konkret zu beurteilenden Geschäftspraktik nichts zu tun hat.

In der Konsequenz fallen geschäftliche Handlungen, mit denen der Wettbewerb eines Dritten gefördert wird, nicht in den Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie, sofern sie nicht im Auftrag oder Namen des geförderten Unternehmens vorgenommen werden. Sie können allerdings dennoch nach dem UWG auf ihre Lauterkeit hin überprüft werden. Die nationalen Gerichte müssen die Vorgaben und Schranken der Richtlinie dabei nur nicht beachten.

Der EuGH nimmt gesetzliche Bestimmungen, die das Ob einer geschäftlichen Tätigkeit regeln, ebenfalls vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus. Sie bezieht sich nur auf das Wie der Tätigkeit. Ob eine Tätigkeit also generell verboten oder von bestimmten Voraussetzungen wie einer Zulassung abhängig ist, beurteilt sich nicht nach der UGP-Richtlinie.

EuGH, Urt. v. 7.7.2019, C-393/17, Tz. 41, 45, 47 - Kirschstein

Geschäftspraktiken müssen unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung ihrer Produkte an Verbraucher zusammenhängen. ...

Bei einer nationalen Vorschrift, die bestimmen soll, welcher Wirtschaftsteilnehmer berechtigt ist, eine Dienstleistung zu erbringen, die Gegenstand eines Handelsgeschäfts ist, ohne unmittelbar die Praktiken zu regeln, die dieser Wirtschaftsteilnehmer sodann einsetzen darf, um den Absatz dieser Dienstleistung zu fördern oder voranzutreiben, nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie sich auf eine Geschäftspraktik bezieht, die unmittelbar mit der Erbringung dieser Dienstleistung im Sinne der Richtlinie 2005/29 zusammenhängt. ...

Eine solche Regelung unterscheidet sich somit deutlich von Vorschriften, die vorsehen, wie ein Wirtschaftsteilnehmer, der zur Erbringung von Dienstleistungen dieser Art berechtigt ist, deren Vermarktung fördern darf.

zurück nach oben

Vollständige Harmonisierung von Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern

Wenn eine Geschäftspraktik gegenüber einem Verbraucher vorliegt, beurteilt sich ihre Zulässigkeit ausschließlich nach demjenigen nationalen Recht, das den Vorgaben der Richtlinie genügt.

EuGH, Urt. v. 17.1.2013, C-206/11, Tz. 29 - Köck/Schutzverband

Die Richtlinie will nach ihrem achten Erwägungsgrund „unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ schützen und nach ihrem Art. 1 „durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, … zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ beitragen.

Ebenso EuGH, Beschl. v. 4.12.2012, C‑559/11, Tz. 19 – Pelckmans Turnhout (Wöchentliche Ladenschließzeiten)

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 33 - Good News

Die Richtlinie 2005/29 harmonisiert die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig.

Ebenso EuGH, Bechl. v. 8.9.2015, C-13/15, Tz. 34 – Cdiscount

Zum personellen Anwendungsbereich (Unternehmer - Verbraucher) siehe hier.

zurück nach oben

Keine Anwendung auf nationale Regelungen ohne Bezug auf den Verbraucherschutz

Alle gesetzlichen Regelungen, die nicht diesem Zweck dienen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Das heißt zunächst, dass alle gesetzlichen Bestimmungen, die zwar das Verhalten eines Unternehmers regulieren, aber keine geschäftlichen Handlungen gegenüber dem Verbraucher betreffen, von der Richtlinie nicht berührt werden.

EuGH, Beschl. v. 4.12.2012, C‑559/11, Tz. 20 – Pelckmans Turnhout (Wöchentliche Ladenschließzeiten)

Par conséquent, toute législation nationale qui ne poursuit pas des finalités tenant à la protection des consommateurs ne relève pas du champ d’application de ladite directive.

Mit dieser Begründung hat der EuGH ein Gesetz über Ladenschließzeiten in Belgien vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.

BGH, Urt. v. 13.12.2018, I ZR 3/16, Tz. 28 – UBER BLACK II

Der Anwendung des § 3a UWG steht im Streitfall nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG, die in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 der Richtlinie) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat (Art. 4 der Richtlinie), keinen vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Die Richtlinie gilt nur für das Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern, nicht dagegen für deren Verhältnis zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2009, I ZR 152/07, Tz. 15 - Zweckbetrieb; BGH, GRUR 2017 Tz. 15 - Uber Black I).

zurück nach oben

Keine Anwendung auf nationale Regelungen zum Schutz der Mitbewerber

Gesetzliche Regelungen oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen, die nicht dem Verbraucherschutz, sondern anderen Zwecken dienen, werden von der Richtlinie nicht tangiert.

EuGH, Urt. v. 9.11.2010, C-540/08, Tz. 21 - Mediaprint

Die Richtlinie ist durch einen besonders weiten sachlichen Anwendungsbereich gekennzeichnet ist, der alle Geschäftspraktiken erfasst, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängen. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind dementsprechend, wie aus ihrem sechsten Erwägungsgrund hervorgeht, nur solche nationalen Rechtsvorschriften ausgenommen, die unlautere Geschäftspraktiken betreffen, die „lediglich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern beeinträchtigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen.

Ebenso EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C-304/08, Tz. 39 - Zentrale/Plus

EuGH, Urt. v. 17.1.2013, C-206/11, Tz. 30 - Köck/Schutzverband

Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, wie sich aus ihrem sechsten Erwägungsgrund ergibt, nur nationale Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken, die „lediglich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen.

EuGH, Bechl. v. 8.9.2015, C-13/15, Tz. 25f, 29 – Cdiscount

Nach ihrem achten Erwägungsgrund „schützt“ diese Richtlinie nämlich „unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“ und trägt, wie es insbesondere in ihrem Art. 1 heißt, „durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, … zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus bei“ (Beschluss INNO, C‑126/11, EU:C:2011:851, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dagegen sind nach dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von deren Anwendungsbereich die nationalen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ausgeschlossen, die „lediglich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen (Beschluss INNO, C‑126/11, EU:C:2011:851, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). ...

Das vorlegende Gericht und nicht der Gerichtshof muss daher klären, ob die fraglichen nationalen Vorschriften, nämlich Art. 1 Nr. 2 und Art. 2 der Verordnung vom 31. Dezember 2008, tatsächlich dem Verbraucherschutz dienen, damit festgestellt werden kann, ob solche Bestimmungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fallen (Beschluss Wamo, C‑288/10, EU:C:2011:443, Rn. 28).

Doppelrelevante Handlungen

In der deutschen Literatur wird dikutiert, ob die Richtlinie auch auf sogenannte doppelrelevante Sachverhalte angewendet werden kann. Dabei geht es um geschäftliche Handlungen gegenüber dem Verbraucher, die den Mitbewerber unbillig behindern (z.B. Abwerben von Kunden). Nach der vorstehend zitierten EuGH-Rechtsprechung steht die Richtlinie nationalen Regelungen wie § 4 UWG nicht entgegen, die dem Mitbewerberschutz dienen, auch wenn die geschäftliche Handlung gegenüber dem Verbraucher vorgenommen wird. In der Cdiscount-Entscheidung ging es um eine Preiswerbung gegenüber Verbrauchern, die nach Ansicht des EuGH eindeutig eine Geschäftpraxis darstellt. In den Anwendungsbereich der Richtlinie falle eine Bestimmung, die solche Preiwerbung verbiete aber nur, wenn sie auch dem Verbraucherschutz diene.

zurück nach oben

Beispiele

EuGH, Urt. v. 9.11.2010, C-540/08, Tz. 26 - Mediaprint

… Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, in ihrem Gebiet Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, die bezwecken oder bewirken, dass Geschäftspraktiken aus Gründen der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt als unlauter eingestuft werden, gehört nicht zu den in den Erwägungsgründen 6 und 9 sowie in Art. 3 der Richtlinie genannten Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich.

EuGH, Urt. v. 17.1.2013, C-206/11, Tz. 27 - Köck/Schutzverband

Werbemaßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden (Räumungsverkäufe), die sich auf den Verkauf von Waren an Verbraucher zu günstigen Konditionen oder Preisen beziehen, gehören eindeutig zur Geschäftsstrategie eines Wirtschaftsteilnehmers und zielen unmittelbar auf die Förderung des Absatzes und des Verkaufs dieser Waren ab. Sie stellen daher „Geschäftspraktiken“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie dar und fallen damit in deren sachlichen Anwendungsbereich.

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 42 - Good News

Es ist nicht Aufgabe der Richtlinie 2005/29, einen Mitbewerber eines Presseverlegers zu schützen, weil dieser Veröffentlichungen vorgenommen hat, die geeignet waren, die Produkte oder Dienstleistungen von Inserenten zu bewerben, die diese Veröffentlichungen gesponsert haben, ohne dass – entgegen den Anforderungen des § 10 LPresseG – eine Kennzeichnung mit dem Begriff „Anzeige“ erfolgt wäre.

zurück nach oben

Sonder- und Ausnahmeregelungen

Vorrang spezifischer europarechtlicher Regelungen

Die Richtlinie 2005/29/EG nimmt einige Sachbereiche aus ihrem Anwendungsbereich aus und verweist wegen anderer Sachbereiche auf Sonderregelungen.

Art. 3 Abs. 4 UGP-Richtlinie

Kollidieren die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend.

Eine entsprechende Bestimmung enthält das UWG in § 1 Abs. 2 seit dem 28.5.2022:

Vorschriften zur Regelung besonderer Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen gehen bei der Beurteilung, ob eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt, den Regelungen dieses Gesetzes vor.

EuGH, Urt. v. 25.7.2018, C-632/16,  Tz. 32 - Dyson

Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 sieht vor, dass bei einer Kollision der Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen unionsrechtlichen Vorschriften, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, die Letzteren vorgehen und für diese besonderen Aspekte maßgebend sind.

EuGH, Urt. v. 13.9.2018, C-54/17Tz. 58 ff – Wind Tre

Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 gehen, wenn die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Union, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, kollidieren, die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend. Diese Richtlinie gilt folglich, wie ihr zehnter Erwägungsgrund bestätigt, nur insoweit, als keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts vorliegen, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln.

Diese Bestimmung betrifft ausdrücklich die Kollision von Unionsregelungen und nicht von nationalen Regelungen.

Der Begriff der „Kollision“ beschreibt eine Beziehung zwischen den betreffenden Bestimmungen, die über eine bloße Abweichung oder einen einfachen Unterschied hinausgeht und eine Divergenz aufweist, die unmöglich durch eine auf Ausgleich gerichtete Formel überwunden werden kann, die das Nebeneinanderbestehen von zwei Sachverhalten ermöglicht, ohne sie verfälschen zu müssen.

Somit liegt eine Kollision, wie sie in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 geregelt ist, nur dann vor, wenn außerhalb der Richtlinie stehende Bestimmungen, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, Gewerbetreibenden ohne jeglichen Gestaltungsspielraum Verpflichtungen auferlegen, die mit denen aus der Richtlinie 2005/29 unvereinbar sind.

Zum Verhältnis der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel zur UGP-Richtlinie führt der EuGH unter diesem Gesichtspunkt aus:

EuGH, Urt. v. 16.7.2015, C-544/13, C-545/13, Tz. 79ff - Abcur

Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 gehen, wenn die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Union, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, kollidieren, die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend. Diese Richtlinie gilt folglich gemäß ihrem zehnten Erwägungsgrund nur insoweit, als keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts vorliegen, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, wie etwa Informationsanforderungen oder Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind.

Die Richtlinie 2001/83, die spezielle Vorschriften für die Arzneimittelwerbung enthält, stellt eine Sonderregelung gegenüber der in der Richtlinie 2005/29 vorgesehenen allgemeinen Regelung dar, die die Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken der Unternehmen schützt (vgl. entsprechend Urteil Gintec, C‑374/05, EU:C:2007:654, Rn. 31).

Hieraus folgt, dass im Fall einer Kollision der Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 mit denen der Richtlinie 2001/83, insbesondere den in deren Titel VIII enthaltenen Vorschriften für die Werbung, diese Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 vorgehen und auf diese speziellen Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken anwendbar sind.

Zum Verhältnis der UGP-Richtlinie zur Universaldienstrichtlinie:

EuGH, Urt. v. 13.9.2018, C-54/17Tz. 58 ff – Wind Tre

Auch wenn Art. 20 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation Diensteanbietern vorschreibt, im Vertrag bestimmte Informationen mitzuteilen, enthält jedoch weder diese Bestimmung noch eine andere Bestimmung der Richtlinie Regelungen, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken wie die Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung im Sinne von Anhang I Nr. 29 der Richtlinie 2005/29 regeln.

Zur Richtlinie 2011/83/ER über Verbraucherrechte:

BGH, Urt. v. 11.4.2019, I ZR 54/16 - Werbeprospekt mit Bestellpostkarte II

Art. 3 Abs. 4 dieser Richtlinie bestimmt, dass andere Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, den Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG vorgehen. Eine solche vorrangige Bestimmung ist die Regelung in Art. 8 der Richtlinie 2011/83/EU, die besondere Vorschriften hinsichtlich der formalen Anforderungen bei Fernabsatzverträgen enthält.

Zum Verhältnis zur Lebensmittelinformationsverordnung

BGH, Urt. v. 7.4.2022, I ZR 143/19, Tz. 30 ff – Knuspermüsli II

Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG sieht vor, dass bei einer Kollision der Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen unionsrechtlichen Vorschriften, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, die Letzteren vorgehen und für diese besonderen Aspekte maßgebend sind. Die Richtlinie 2005/29/EG gilt nach ihrem Erwägungsgrund 10 Satz 3 nur insoweit, als keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts vorliegen, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, wie etwa Informationsanforderungen oder Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind.

Ob eine Kollision im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG vorliegt, ist in Bezug auf konkrete Bestimmungen zu prüfen. Der Senat hat daher entschieden, dass die Frage, ob der Verbraucher mit der beanstandeten Aufmachung eines Lebensmittels hinreichend über dessen Merkmale aufgeklärt wird, allein nach den einschlägigen Bestimmungen der Lebensmittelinformationsverordnung zu beurteilen ist und aus Art. 7 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2005/29/EG (§ 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG) keine darüber hinausgehenden Informationspflichten hergeleitet werden können. Anders liegt es jedoch, wenn die Richtlinie 2005/29/EG über ihren Art. 7 Abs. 5 die Vorschriften der Lebensmittelinformationsverordnung integriert. Dann liegt kein Kollisionsfall vor, sondern die Richtlinien ergänzen sich insoweit.

Zu Art. 3 Abs. 4 der UGP-Richtlinie siehe auch hier.

Seit dem 13. Juni 2013 ist außerdem Art. 3 Abs. 5 S. 1 der UGP-Richtlinie (mittlerweile wegen Zeitablauf aufgehoben) zu beachten (dazu hier):

Art. 3 Abs.5 S. 1 UGP-Richtlinie

Die Mitgliedstaaten können für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten.

zurück nach oben

Vertragsrecht

Art. 3 Abs. 2 der UGP-Richtlinie

(2) Diese Richtlinie lässt das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt.

EuGH, Urt. v. 15. 3.2012, C-453/10, Tz. 45 f - Pereničová und Perenič

Die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung im Sinne des Wettbewerbsrechts vorliegt und ggfs. auch unlauter ist, hat keinen Einfluss auf die zivilrechtlichen Folgen für das Vertragsverhältnis.

Infolgedessen hat die Feststellung des unlauteren Charakters einer Geschäftspraxis keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Frage, ob der Vertrag … wirksam ist.

BGH, Urt. v. 21.1.2021, I ZR 17/18, Tz. 48 - Berechtigte Gegenabmahnung

Nach Art. 3 Abs. 2 und Erwägungsgrund 9 Satz 2 der Richtlinie lässt diese das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen und die Wirkungen eines Vertrags unberührt. Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG aF, § 3a UWG, die sich auf den Abschluss und den Inhalt von Verträgen beziehen, stehen daher grundsätzlich in Einklang mit der Richtlinie 2005/29/EG. Soweit das Vertragsrecht im sonstigen Unionsrecht geregelt ist, müssen sie allerdings auch mit den jeweiligen unionsrechtlichen Bestimmungen vereinbar sein (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO § 3a Rn. 1.22).

Ebenso BGH, Urt. v. 18.11.2021, I ZR 106/20, Tz. 30 – Kabel-TV-Anschluss

OLG Köln, Urt. V. 26.2.2021, 6 U 85/20, Tz. 25

Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die UGP-Richtlinie im Verbraucherschutzbereich grundsätzlich abschließende Vorgaben macht, allerdings gilt dies nur für den Anwendungsbereich der Richtlinie, zu dem vorvertragliche und vertragliche Informationspflichten nicht gehören (Art. 3 Abs. 2 UGP-RL).

zurück nach oben

Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten

Art. 3 Abs. 3 der UGP-Richtlinie

(3) Diese Richtlinie lässt die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt.

EuGH, Urt. v. 4.5.2017, C 339/15 - Vanderborght

Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, die die Öffentliche Gesundheit und die Würde des Zahnarztberufs schützen, indem sie zum einen jegliche Werbung für Leistungen der Mund- und Zahnversorgung allgemein und ausnahmslos verbieten und zum anderen bestimmte Anforderungen in Bezug auf die Schlichtheit von Zahnarztpraxisschildern aufstellen, nicht entgegensteht.

BGH, Urt. v. 1.12.2016, I ZR 143/15, Tz. 18 - Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln

Der Anwendung des § 3a UWG steht im Streitfall nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 der Richtlinie) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat (Art. 4 der Richtlinie), keinen vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Gemäß Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 der Richtlinie bleiben von ihr unionsrechtskonforme nationale Rechtsvorschriften in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Diese Regelung erfasst auch Vorschriften, welche die Möglichkeit beschränken, für solche Produkte zu werben.

Ständige Rechtsprechung. Siehe u.a. BGH, Urt. v. 10.11.2022, I ZR 16/22, Tz. 22 - Stickstoffgenerator; BGH, Urt. v. 20.11.2018, I ZR 237/16, Tz. 17 - Versandapotheke

zurück nach oben

Berufsrechtliche Regelungen

Art. 3 Abs. 8 der UGP-Richtlinie

Diese Richtlinie lässt alle Niederlassungs- oder Genehmigungsbedingungen, berufsständischen Verhaltenskodizes oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können, gewährleistet bleiben.

Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 4.5.2017, C 339/15, Tz. 27 - Vanderborght oder BGH, Urt. v. 18.9.2013, I ZR 183/12, Tz. 9 - Krankenzusatzversicherungen

BGH, Urt. v. 9.9.2021, I ZR 113/20, Tz. 15 - Vertragsdokumentengenerator

Nach Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2005/29/EG bleiben alle spezifischen Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards gewährleistet bleiben, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Unionsrechts auferlegen können. Dementsprechend ist die Anwendung des § 3a UWG auf berufsrechtliche Bestimmungen zulässig, die - wie die Vorschrift des § 3 RDG - das Marktverhalten in unionsrechtskonformer Weise regeln (BGH, GRUR 2011, 539 Rn. 23 - Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; GRUR 2016, 1189 Rn. 17 - Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur; GRUR 2021, 758 Rn. 30 - Rechtsberatung durch Architektin).

zurück nach oben

Finanzdienstleistungen

Art. 3 Abs. 9 UGP-Richtlinie

Im Zusammenhang mit "Finanzdienstleistungen" im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG und Immobilien können die Mitgliedstaaten Anforderungen stellen, die im Vergleich zu dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich restriktiver und strenger sind.

EuGH, Urt. v. 18.7.2013, C-265/12, Tz. 23 - Citroen

Eine „Finanzdienstleistung“ im Sinne der Richtlinie 2002/65 ist jede „Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung“. Diese Definition wird von dem Gesetz vom 6. April 2010 in Art. 2 Nr. 24 zur Bezeichnung der Finanzdienstleistungen aufgenommen. Kopplungsgeschäfte, bei denen – wie bei dem im Ausgangsverfahren verbotenen Geschäft – mindestens ein Bestandteil eine Finanzdienstleistung ist, fallen daher in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 9 der Richtlinie 2005/29.

EuGH, Urt. v. 18.7.2013, C-265/12, Tz. 20 ff - Citroen

20. Die Richtlinie 2005/29 harmonisiert die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern auf Gemeinschaftsebene grundsätzlich vollständig, so dass die Mitgliedstaaten, wie dies in Art. 4 der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist, keine strengeren als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen erlassen dürfen, und zwar auch nicht, um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu erreichen (vgl. Urt. v. 14.1.2010, C-304/08, Tz. 41- Plus Warenhandelsgesellschaft).

21. Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2005/29 enthält jedoch in Abs. 9 u. a. für Finanzdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2002/65 eine Ausnahme von dem Ziel der vollständigen Harmonisierung.

22. Aus dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 folgt, dass für Finanzdienstleistungen aufgrund ihrer Komplexität und der ihnen inhärenten ernsten Risiken detaillierte Anforderungen erforderlich sind, einschließlich positiver Verpflichtungen für die betreffenden Gewerbetreibenden. Weiter heißt es dort, dass im Bereich dieser Dienstleistungen die Richtlinie das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher über die Bestimmungen der Richtlinie hinauszugehen.

EuGH, Urt. v. 18.7.2013, C-265/12, Tz. 25 f - Citroen

25. Art. 3 Abs. 9 der Richtlinie 2005/29 beschränkt sich seinem Wortlaut nach darauf, es den Mitgliedstaaten zu gestatten, bei Finanzdienstleistungen strengere nationale Vorschriften zu erlassen, ohne dies zu präzisieren. Er enthält keine Begrenzung im Hinblick darauf, wie restriktiv die nationalen Vorschriften insoweit sein dürfen, und sieht keine Kriterien im Hinblick auf das Ausmaß der Komplexität oder der Risiken vor, die die Dienstleistungen aufweisen müssen, um strengeren Vorschriften zu unterliegen. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich auch nicht, dass die restriktiveren nationalen Vorschriften nur Kopplungsgeschäfte erfassen dürfen, die sich aus mehreren Finanzdienstleistungen zusammensetzen oder bei denen die Finanzdienstleistung den Hauptbestandteil bildet.

26. Die Anwendung von Art. 3 Abs. 9 der Richtlinie 2005/29 ist daher entgegen dem Vorbringen von Citroën nicht auf Kopplungsgeschäfte zu beschränken, die sich aus mehreren Finanzdienstleistungen zusammensetzen oder eine komplexe Finanzdienstleistung enthalten.

zurück nach oben

Zitiervorschlag zur aktuellen Seite

Omsels, Online-Kommentar zum UWG:

http://www.webcitation.org/6dpyYBIii