Literatur: Steuer, Sebastian, "Klimaneutrale" Produkte im Lauterkeitsrecht, GRUR 2022, 1408
Zu Informationspflichten bei der Werbung mit Umweltschutz, insbesondere einer Klimaneutralität siehe hier. Zur Umweltwerbung allgemein siehe hier.
OLG Köln, Urt. v. 13.12.2024, 6 U 45/24, Tz. 32
CO2-Neutralität als Versprechen wird als konkreter Vorteil einer Dienstleistung wahrgenommen. Die Behauptung beschreibt aus Sicht des angesprochenen Verkehrskreises, zu dem auch die Mitglieder des entscheidenden Senats gehören, zweifelsfrei einen Vorzug. Angesichts der anhaltenden Berichterstattung über die konstante Erwärmung der Erdatmosphäre, als deren Ursache nach mittlerweile weitgehend geteilten Überzeugungen der Wissenschaft menschliches Verhalten in den Bereichen Reise, Wohnen und Industrie zählt, nehmen die Sorgen der Verbraucher über ihr eigenes Verhalten zu, so dass der Wunsch nach Verhaltensweisen, die schädliche Umwelteinwirkungen reduzieren, auch beim Konsumverhalten wichtiger wird.
BGH, Urt. v. 27.6.2024, I ZR 98/23, Tz. 40 – klimaneutral
Die Angabe klimaneutral ist mehrdeutig und umfasst, da die Beklagte in der Werbung selbst nicht eindeutig und klar die von ihr gemeinte konkrete Bedeutung einer bloßen Kompensation von CO2 erklärt hat, nach der Verkehrsanschauung auch das Versprechen einer auf den Produktionsprozess bezogenen CO2-Vermeidung.
BGH, Urt. v. 27.6.2024, I ZR 98/23, Tz. 29 – klimaneutral
Für die Beurteilung der im Streitfall vorliegenden Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen gelten strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage. Es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt des Begriffs "klimaneutral" und an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise sind strenge Anforderungen zu stellen. Diese Anforderungen bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, werden regelmäßig nur dann erfüllt sein, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Eine solche Erläuterung ist im Streitfall insbesondere deshalb zur Aufklärung erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleich-wertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität sind. Vielmehr gilt der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation.
Verweise auf Informationen in externen Quellen sind entgegen der früheren Rechtsprechung der Instanzgerichte irrelevant.
BGH, Urt. v. 27.6.2024, I ZR 98/23, Tz. 36 – klimaneutral
Nach den für umweltbezogene Werbung geltenden strengen Maßstäben an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit einer solchen Werbeaussage (vgl. dazu Rn. 24) sind außerhalb der Werbung selbst erfolgende, vom Verbraucher erst durch eigene Tätigkeit zu ermittelnde aufklärende Hinweise nicht ausreichend. Der vom Berufungsgericht unter Hinweis auf § 5a Abs. 5 Nr. 1 UWG aF und § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG bei der Prüfung der Informationspflichtverletzung herangezogene Gesichtspunkt der räumlichen Beschränkung des vom Werbenden gewählten Kommunikationsmittels ist für die Prüfung der Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 UWG ohne Bedeutung (Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 5a Rn. 2.57; zu Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2016, GRUR 2016, 1307 [juris Rn. 42] = WRP 2017, 31 - Canal Digital Danmark).
Obsolet u.a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.2023, I-20 U 72/22, Tz. 30; OLG Schleswig, Urt. v. 30.6.2022, 6 U 46/21, Tz. 28 f - klimaneutral
OLG Köln, Urt. v. 13.12.2024, 6 U 45/24, Tz. 43
Der Einwand, dass der für die Werbung bestehende Raum begrenzt sei, führt nicht weiter, denn – anders als § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG – § 5 enthält keine Verweisung auf räumliche Beschränkungen des gewählten Kommunikationsmittels. Die Werbeangabe muss also für sich genommen vollständig und richtig sein. Ist sie mehrdeutig, muss diese Mehrdeutigkeit unmittelbar im Zusammenhang mit der Werbeangabe richtiggestellt werden.
OLG Koblenz, Urt. v. 10.8.2011, 9 U 163/11
„CO2-neutral": Der Verbraucher erwartet einen vollständigen Ausgleich der CO2-Belastungen. Dies steht im Einklang mit den Anforderungen des TÜV für eine Zertifizierung der Klimaneutralität. Danach ist ein Unternehmen oder ein Produkt dann als klimaneutral zu betrachten, wenn die entstandenen CO2-Emisionen, die entsprechend zuzurechnen sind, durch CO2-reduzierende Projekte kompensiert werden.
CO2-Neutralität und Flugreisen
OLG Köln, Urt. v. 13.12.2024, 6 U 45/24, Tz. 35
Eine Irreführung liegt nicht darin, dass das Werbesprechen nicht schon durch das Produkt, sondern erst durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Daran ändert sich nichts, wenn man mit dem BGH zugrunde legt, dass für eine Irreführung über Umwelteigenschaften „besonders strenge Anforderungen“ gelten (BGH GRUR 2024, 1123 Rn. 23 f.; erstmals BGHZ 105, 277 = GRUR 1991, 548 Juris Rn. 14 – Umweltengel). Denn stets kommt es auch auf den Gegenstand der Werbung, also das beworbene Produkt an. Zudem darf das Verkehrsverständnis bei allem Bemühen, möglichst strenge Maßstäbe für die Erzielung von Klimaneutralität zu erreichen, nicht außer Acht gelassen werden. Auch bei der Anlegung strenger Anforderungen an Klarheit und Richtigkeit ist nicht davon auszugehen, dass der Durchschnittsverbraucher annimmt, Flüge könnten emissionsfrei durchgeführt werden, weil ihm bewusst ist, dass Flugzeuge typischerweise mit fossilen Brennstoffen betankt werden. Auch der BGH hat darauf hingewiesen, dass eine Auslegung, wonach der Durchschnittsverbraucher ein Neutralitätsversprechen für auch durch Kompensationsmaßnahmen erreichbar hält, nicht erfahrungswidrig sei (BGH GRUR 2024, 1123 Rn. 31 – klimaneutral).
OLG Köln, Urt. v. 13.12.2024, 6 U 45/24, Tz. 42
Der Kunde, dem versprochen wird, dass er seine Flugemissionen „ausgleichen“ kann, wird im Kern erwarten, dass dieses Versprechen jedenfalls dahingehend erfüllt wird, dass ein von ihm geleisteter Mehrbeitrag so viele Emissionen kompensiert, wie er durch den Flug verursacht hat. Die Formulierung „ausgleichen und abheben“ legt das Verständnis nahe, dass der Ausgleich erfolgt, bevor der Flug startet, bevor der Kunde „abhebt“. Ein relevanter Teil der Verbraucher wird erwarten, dass sie etwas erwerben, was eine sofortige Kompensation auslöst. Unter der Geltung des Strengeprinzips hätte die Beklagte – und zwar im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Button – darüber aufklären müssen, dass die Kompensation tatsächlich unter Umständen erst in der Zukunft erfolgen wird, wobei das genaue Ausmaß von einer Prognose abhängen kann.
Wirksamkeit der Kompensation
Das LG Karlsruhe hält die Werbung mit Klimaneutral (durch CO2-Kompensation) in der Regel für irreführend, wenn die Kompensation nur 'auf dem Papier' erreicht wird (LG Karlsruhe, Urt. v. 26.7.2022, 13 O 46/22, Tz. 74 ff). Klimaneutralität sei bei einer Kompensation durch ein Waldprojekt nicht gegeben, auch wenn dieses auf 100 Jahre berechnet würde. Denn das CO2, das durch ein Produkt in die Atmosphäre gelangt, verbleibt dort viel länger und schädigt auch nach 100 Jahren weiter das Klima.
OLG Köln, Urt. v. 13.12.2024, 6 U 45/24, Tz. 37
Die Irreführung folgt nicht allein daraus, dass eine Kompensationszahlung keine permanente Bindung von CO2 ermöglicht. Dass der Durchschnittsverbraucher dies annimmt, ist nach Auffassung des Senats nicht realistisch. Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Verbraucher bewusst ist, wie langwierig der Abbau von CO2 ist. Auch wenn es ihm bewusst wäre, ist zu bezweifeln, dass er an eine Garantie glaubt, die weit über seine eigene Lebenszeit, jedenfalls auch über die Lebenszeit von Unternehmen hinausgehe. Auch der Kläger gesteht zu, dass es um eine Zeitdauer von hundert, möglicherweise aber auch mehreren hundert Jahren geht. Dass der Verbraucher eine Kompensationszahlung erwartet, die diesen Zeitraum abdeckt, ist auch mit dem Strengeprinzip nicht zu rechtfertigen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Umweltbewusstsein und Umweltverhalten sich nicht parallel entwickeln, Verbraucher fühlen sich gelegentlich gar überfordert, selbst die Ansprüche zu erfüllen, die sie nach den Behauptungen des Klägers an Unternehmen stellen sollen. Der Kläger erwartet hier eine Festlegung sehr genauer Kenntnisse über wissenschaftliche Zusammenhänge, die den Bereich der Werberegulierung verlassen und zu technisch genauen Informationsanforderungen werden. Solche Informationsanforderungen müsste der Gesetzgeber selbst regeln. Die Gerichte sollten sich hierbei schon deswegen zurückhalten, weil sie damit tief in das Wesen der Werbung eingreifen, die gerade nicht zur umfassenden Aufklärung über alle wesentlichen Eigenschaften eines Produktes verpflichtet (vgl. BGH GRUR 2007, 247 Rn. 25 – Regenwaldprojekt I; GRUR 1996, 367, 368 – Umweltfreundliches Bauen).