Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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1. Richtlinienkonforme Auslegung

1. § 4 Nr. 2 UWG ist ein Sonderfall von § 4 Nr. 1 UWG. Es gilt somit im Wesentlichen dasselbe wie bei § 4 Nr. 1 UWG (dazu siehe hier). Beide Vorschriften sind Ausprägungen des Verbots aggressiver Geschäftspraktiken. Bei § 4 Nr. 2 UWG kommt hinzu, dass diese aggressive Geschäftspraktik gegenüber einer Gruppe von Personen ausgeübt wird, die besonders schutzbedürftig sind und deren Schutzbedürftigkeit bei der rechtlichen Beurteilung der geschäftlichen Handlung berücksichtigt werden muss.

In Art. 9 c der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken wird das unlautere Ausnutzen der Schutzbedürftigkeit einzelner Personengruppen bei der wettbewerbsrechtlichen Bewertung von geschäftlichen Praktiken als aggressive Geschäftspraktiken sogar ausdrücklich erwähnt. Dort heißt es:

Artikel 9

Belästigung, Nötigung und unzulässige Beeinflussung

Bei der Feststellung, ob im Rahmen einer Geschäftspraxis die Mittel der Belästigung, der Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder der unzulässigen Beeinflussung eingesetzt werden, ist abzustellen auf:

...

c ) die Ausnutzung durch den Gewerbetreibenden von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, worüber sich der Gewerbetreibende bewusst ist, um die Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf das Produkt zu beeinflussen

Außerdem ist - wie jedoch auch bei allen anderen geschäftlichen Handlungen gegenüber bestimmten Verbrauchergruppen - Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu berücksichtigen. Der lautet:

Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt.

Dazu heißt es ergänzend in Erwägungsgrund 18 S. 3 der Richtlinie:

Richtet sich eine Geschäftspraxis speziell an eine besondere Verbrauchergruppe wie z. B. Kinder, so sollte die Auswirkung der Geschäftspraxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt werden.

Schließlich ist Erwägungsgrund 19 zu berücksichtigen:

Sind Verbraucher aufgrund bestimmter Eigenschaften wie Alter, geistige oder körperliche Gebrechen oder Leichtgläubigkeit besonders für eine Geschäftspraxis oder das ihr zugrunde liegende Produkt anfällig und wird durch diese Praxis voraussichtlich das wirtschaftliche Verhalten nur dieser Verbraucher in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise wesentlich beeinflusst, muss sichergestellt werden, dass diese entsprechend geschützt werden, indem die Praxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt wird.

2. Die Tatbestandsmerkmale der Ausnutzung geistiger oder körperlicher Gebrechen, des Alters, der geschäftlichen Unerfahrenheit, der Leichtgläubigkeit, der Angst oder der Zwangslage in § 4 Nr. 2 UWG müssen richtlinienkonform mit dem Kriterium der Ausnutzung von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, in Art. 9 lit. c der Richtlinie in Einklang gebracht werden (Köhler in Köhler/Bornkamm § 4, Rdn. 2.4 f).

3. § 4 Nr. 2 UWG verbietet bestimmte geschäftliche Handlungen gegenüber besonders schutzbedürftigen Verbrauchern, sofern sie geeignet sind, die Schutzbedürftigkeit auszunutzen. Art. 8 der UGP-Richtlinie verlangt bei einer aggressiven Geschäftpraktik demgegenüber, dass sie die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit voraussichtlich erheblich beeinträchtigt und der Verbraucher dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. § 4 Nr. 1 UWG ist entsprechend richtlinienkonform zu reduzieren (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 4, Rdnr. 2.3).

4. Wenn eine geschäftliche Handlung nicht die Voraussetzungen einer aggressiven Geschäftspraktiken erfüllt, kann sie gegebenenfalls gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 UWG unlauter sein. Sie fällt dann aber nicht in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 2 UWG.