Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 


 

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Ausnahmen vom Widerrufsrecht

Nach § 312g Abs. 1 BGB steht das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen nur Verbrauchern zu. § 312 Abs. 2 BGB schließt das Widerrufsrecht bei manchen Verträgen aus. Außerdem werden in § 312g Abs. 2, 3 BGB  einige weitere Sachverhalte aufgeführt, bei denen auch für Verbraucher kein Widerrufsrecht besteht. Die Gesetzessystematik bleibt auch nach der Reform des Widerrufsrechts im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, die ab dem 13. Juni 2014 gilt, kompliziert.

1. Gesetzestext

2. Kein Verbrauchergeschäft

3. Kein Widerrufsrecht

a. Kein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 2 BGB

i. Behandlungsverträge nach § 630a (§ 312 Abs. 2 Nr. 7 BGB)

ii. Haushaltsgegenstände des täglichen Bedarfs (§ 312 Abs. 2 Nr. 8 BGB)

b. Kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2, 3 BGB

i. Individuelle Produkte (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB)

ii. Entsiegelung (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 BGB)

iii. Zeitungen und Zeitschriften (§ 312g Abs. 2 Nr. 7 BGB)

iv. Zeitlich gebundene Dienstleistungen (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB)

Gesetzestext

§ 312 g BGB

 (1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.

(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:

1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,

2. Verträge zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde,

3. Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,

4. Verträge zur Lieferung von Waren, wenn diese nach der Lieferung auf Grund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden,

5. Verträge zur Lieferung alkoholischer Getränke, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat,

6. Verträge zur Lieferung von Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,

7. Verträge zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierten mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen,

8. Verträge zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, mit Anteilsscheinen, die von einer Kapitalanlagegesellschaft oder einer ausländischen Investmentgesellschaft ausgegeben werden, und mit anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten,

9. vorbehaltlich des Satzes 2 Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, Beförderung von Waren, Kraftfahrzeugvermietung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie zur Erbringung weiterer Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht,

10. Verträge, die im Rahmen einer Vermarktungsform geschlossen werden, bei der der Unternehmer Verbrauchern, die persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist (öffentlich zugängliche Versteigerung),

11. Verträge, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen; dies gilt nicht hinsichtlich weiterer Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht ausdrücklich verlangt hat, oder hinsichtlich solcher Waren, die bei der Instandhaltung oder Reparatur nicht unbedingt als Ersatzteile benötigt werden, die der Unternehmer bei einem solchen Besuch erbringt,

12. Verträge zur Erbringung von Wett- und Lotteriedienstleistungen, es sei denn, dass der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat oder der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, und

13. notariell beurkundete Verträge; dies gilt für Finanzdienstleistungen nur, wenn das Gesetz notarielle Beurkundung des Vertrags vorschreibt und der Notar bestätigt, dass die für den Vertrag geltenden Informationspflichten eingehalten sind.

Die Ausnahme nach Satz 1 Nummer 9 gilt nicht für Verträge über Reiseleistungen nach § 651a, wenn diese außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, es sei denn, die mündliche Verhandlungen, auf denen der Vertragsschluss beruht. sind auf vorhergehende Bestellung des Verbrauchers geführt worden.

(3) Das Widerrufsrecht besteht ferner nicht bei Verträgen, bei denen dem Verbraucher bereits auf Grund der §§ 495, 506 bis 512 ein Widerrufsrecht nach § 355 zu-steht, und nicht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, bei denen dem Verbraucher bereits nach § 126 des Investmentgesetzes ein Widerrufsrecht zusteht.

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Kein Verbrauchergeschäft

Die Verpflichtung, ein Widerrufsrecht einzuräumen und darüber ordnungsgemäß zu belehren, besteht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen mit Verbrauchern. Bei Fernabsatzverträgen mit Unternehmern besteht kein Widerrufsrecht. Allerdings muss es praktisch ausgeschlossen sein, dass auch Verbraucher das Geschäft abschließen können.

OLG Hamm, Urt. v. 20.9.2011, 4 U 73/11 Tz. 43, 48

Das streitgegenständliche Angebot stellt sich als verbotswidrig dar, da die gesetzlich geforderte Widerrufsbelehrung fehlte ..., weil davon auszugehen ist, dass sich das Angebot sich tatsächlich auch an Verbraucher richtete, die Waren der Antragstellerin auch an Verbraucher vertrieben werden und so die gesetzlichen Verbraucherschutzrechte von ihr umgangen werden. Eine Sicherstellung dahin, dass nicht in erheblichem Umfang auch an Verbraucher verkauft wird, findet nicht statt. Dabei ist nicht zu entscheiden, ob ein Verkauf ausschließlich an Unternehmer im Rahmen der im Zivilrecht grundsätzlich geltenden Privatautonomie überhaupt möglich ist oder nicht, noch, welche konkrete Gestaltung hierfür erforderlich sein könnte, um solches zu erreichen. Allein die konkrete Verkaufstätigkeit der Antragsgegnerin bietet jedenfalls keine ausreichende Grundlage für eine bloße Verkaufstätigkeit nur an Unternehmer.

Selbst bei einer eindeutigen Ausrichtung des Angebots ausschließlich an Gewerbetreibende trifft den Anbietenden die Pflicht, durch geeignete Kontrollmaßnahmen im Ergebnis sicherzustellen, dass ausschließlich gewerbliche Abnehmer betrieblich verwendbare Waren erwerben können (vgl. BGH GRUR 2011, 82 - Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; GRUR 1990, 617 - Metro III). Mit anderen Worten, die Antragsgegnerin muss Vorkehrungen dagegen treffen, dass Verbraucher Kaufangebote auch auf für Gewerbetreibende bestimmte Artikel abgeben (BGH GRUR 2010, 1117 - Gewährleistungsausschluss im Internet). Dabei ist unbeachtlich, an welchen Abnehmerkreis der Werbende die Anzeige grundsätzlich richten will, wie auch sein bloßer Wille, keine Verträge mit Letztverbrauchern schließen zu wollen. … So ist vorliegend entsprechend dafür zu sorgen, dass der Verkauf weitestgehend nicht auch an Private erfolgt und erfolgen kann. So hat auch das OLG München durch Beschluss vom 02.09.2009, Az.: 6 W 2070/09, entschieden, dass im Bereich der Werbung für an Gewerbetreibende gerichtete Angebote ein Hinweis wie "nur für Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe" nicht ausreichend sei, um von einer Adressierung der Werbung lediglich an Gewerbetreibende ausgehen zu können; es müsse vielmehr durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass tatsächlich nur gewerbliche Letztverbraucher von der Werbung Kenntnis erlangen.

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Kein Widerrufsrecht

Die Gesetzessystematik beim Ausschluss eines Widerrufsrechts bleibt auch nach der Reform im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, die ab dem 13. Juni 2014 gilt, kompliziert. In § 312 Abs. 2 BGB werden eine Reihe von Verträgen genannt, für die neben anderen Bestimmungen das Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB nicht gilt. In § 312g Abs. 2 BGB werden wiederrum eine Reihe anderer Verträge genannt, bei denen kein Widerrufsrecht besteht. Die Aufteilung der Ausnahmen auf zwei Ausnahmekataloge, die an verschiedenen Stellen im Gesetz genannt werden, ist unglücklich, zumal aus § 312 Abs. 2 BGB nur mit Mühe herauszulesen ist, dass es sich um einen Ausnahmekatalog handelt, der ein Widerrufsrecht ausschließt.

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Kein Widerrufsrecht  nach § 312 Abs. 2 BGB

Nach § 312 Abs. 2 BGB besteht generell kein Widerrufsrecht bei bestimmten dort namentlich genannten Verträgen. Dazu gehören u.a.

  • Verträge, die notariell geschlossen werden müssen,

  • Verträge über Bau- und erhebliche Umbaumaßnahmen,
  • Verträge über Reiseleistungen gamäß § 651 BGB oder die Beförderung von Personen,
  • Verträge über Haushaltsgegenstände,
  • Verträge, die über Automaten abgeschlossen werden,
  • außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, bei denen die Leistung sofort erbracht wird und die Gegenleistung 40 Euro nicht überschreitet.

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Behandlungsverträge nach § 630a (§ 312 Abs. 2 Nr. 7 BGB)

OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.2.2018, 4 U 87/17, II.B.3

Entgegen Erwägungsgrund (30) der Verbraucherrechtsrichtlinienumsetzungsgesetz, welcher indessen lediglich eine Empfehlung darstellt („die Gesundheitsversorgung ... sollte daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden“) sieht § 312 Abs. 2 Nr. 7 BGB die eingeschränkte Anwendung der §§ 312 ff BGB nur für Behandlungsverträge vor. …

Die Gesetzesbegründung (BR-Drucksache 817/12, S. 75) verbietet eine Auslegung des Ausschlussgrundes des § 312 g Abs. 2 Nr. 2 BGB im Sinne einer vom Beklagten postulierten „rechtlichen Verderblichkeit“ wegen unmöglicher Wiederveräußerung nach Widerruf und Warenrücksendung, welche einem, schon gem. § 312 k Abs. 1 BGB untersagten, Ausschluss des Widerrufsrechts für Arzneimittel im Fernabsatz gleichkäme. Es kommt daher nicht darauf an, dass als „Waren, die schnell verderben können“ gem. § 312 g Abs. 2 Nr. 2 BGB nach dem Wortsinn nach kurzer Zeit nicht mehr genuss- oder verwendungsfähige Waren zu verstehen sind, was auf an einen Verbraucher übersandte Medikamente nur in Ausnahmefällen zutrifft.

Haushaltsgegenstände des täglichen Bedarfs (§ 312 Abs. 2 Nr. 8 BGB)

Der Ausnahmetatbestand befand sich vor der Reform bis zum 12. Juni 2014 in § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB. Danach Fanden Vorschriften über Fernabsatzverträge keine Anwendung auf Verträge "über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von Unternehmern im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden".

Verträge über Haushaltsgegenstände des täglichen Bedarfs werden nunmehr in § 312 Abs. 2 Nr. 6 BGB und damit in dem Katalog von Verträgen genannt, bei denen kein Widerrufsrecht besteht.

Rechtsprechung zu § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB:

BGH, Urt. v. 9.6.2011, I ZR 17/10, Tz. 15 ff – Computer-Bild

Nach § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB finden die Vorschriften über Fernabsatzverträge keine Anwendung auf Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von Unternehmern im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden.

Zeitungen und Zeitschriften zählen nicht zu den Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs im Sinne des § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB.

§ 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB erfasst allerdings auch Verträge, die eine Verpflichtung zum fortlaufenden Bezug eines Haushaltsgegenstands des täglichen Bedarfs begründen. Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist nicht zu entnehmen, dass sie lediglich bei Verträgen über die einmalige Lieferung eines solchen Haushaltsgegenstandes eingreift. Auch aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass diese Regelung nicht für Dauerbezugsverpflichtungen gelten soll.

Der Einordnung der in Rede stehenden Zeitschrift als Haushaltsgegenstand des täglichen Bedarfs steht ferner nicht entgegen, dass sie nicht täglich, sondern 14-tägig erscheint. Maßgeblich ist nicht die Häufigkeit des Erwerbs, sondern die der Benutzung. Auch eine Tube Zahnpasta ist ein Haushaltsgegenstand des täglichen Bedarfs, auch wenn sie nicht täglich erworben wird.

Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich jedoch, dass § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB keine Verträge über die Lieferung von Zeitungen oder Zeitschriften erfasst. Die Vorschrift des § 312d Abs. 4 Nr. 3 BGB aF (heute § 312d Abs. 4 Nr. 3 BGB) regelt, dass das dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen zustehende Widerrufsrecht, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten nicht besteht. Daraus ist zu schließen, dass Fernabsatzverträge zur Lieferung von Zeitungen und Zeitschriften nicht bereits nach § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB vom Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts ausgenommen sein sollen.

BGH, Urt. v. 9.6.2011, I ZR 17/10, Tz. 23 – Computer-Bild

Die Voraussetzungen des § 312b Abs. 3 Nr. 5 BGB sind nicht erfüllt sind, wenn der Unternehmer ein Logistikunternehmen wie die Deutsche Post AG mit der Auslieferung beauftragt; die Regelung gilt nicht für den herkömmlichen Versandhandel.

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Kein Widerrufsrecht  nach § 312g Abs. 2, 3 BGB

OLG Brandenburg, Urt. v. 14.11.2017, 6 U 12/16, Tz. 34

Aus Gründen des effektiven Verbraucherschutzes sind die Ausnahmen von § 312g Abs. 1 BGB so weit wie möglich zu begrenzen, § 312g Abs. 2 ist deshalb eng auszulegen. Der Gesetzgeber hat das Widerrufsrecht grundsätzlich als für den Unternehmer zumutbar angesehen, obwohl eine Rücknahme der Ware für den Unternehmer in der Regel mit wirtschaftlichen Nacheilen verbunden ist.

Individuelle Produkte (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB)

BGH, Urt. v. 20.10.2021, I ZR 96/20, Tz. 15 - Kurventreppenlift

Die Bestimmung des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB setzt zunächst den Abschluss eines Vertrags zur Lieferung von Waren voraus. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist weiter zu prüfen, ob die zu liefernden Waren nicht vorgefertigt sind und ob für ihre Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder sie eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Zu den Verträgen zur Lieferung von Waren im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB zählen Kaufverträge (§ 433 BGB) und Werklieferungsverträge (§ 650 BGB), aber weder Dienstverträge (§ 611 BGB) noch - jedenfalls im Regelfall - Werkverträge (§ 631 BGB).

BGH, Urt. v. 20.10.2021, I ZR 96/20, Tz. 17 ff - Kurventreppenlift

Nach Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2011/83/EU ist ein Kaufvertrag jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder dessen Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Ein vom Kaufvertrag abzugrenzender Dienstleistungsvertrag ist nach Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2011/83/EU jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt.

Danach zählen zu den Kaufverträgen im Sinne der Richtlinie nicht ausschließlich Kaufverträge im engeren Sinne (Kaufverträge im Sinne von §§ 433, 474 BGB), sondern auch bestimmte Arten von Verträgen, die eine Dienstleistung umfassen, nämlich Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter (Werklieferungsverträge im Sinne von § 650 BGB) und Verträge, die die Montage solcher Güter im Verbund mit einem Kaufabschluss vorsehen. Zu den Dienstleistungsverträgen im Sinne der Richtlinie gehören dagegen Dienstverträge im Sinne von § 611 BGB und Werkverträge im Sinne von § 631 BGB, wenn deren Gegenstand - wie im Regelfall - ein durch eine Dienstleistung herbeizuführender Erfolg wie die Herstellung oder Veränderung einer Sache ist (§ 631 Abs. 2 BGB).

BGH, Urt. v. 20.10.2021, I ZR 96/20, Tz. 33 - Kurventreppenlift

Für Werkverträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, gilt der Ausschluss des in § 312g Abs. 1 BGB vorgesehenen Widerrufsrechts des Verbrauchers nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht.

OLG Schleswig, Urt. v. 25.3.2021, 6 U 48/20

Die Ausnahme für Waren, die nach Kundenspezifikation hergestellt sind, entspricht im Wesentlichen Art. 2 Nr. 4 VerbrRRL, die zur Begriffsbestimmung in Erwägungsgrund 49 als Beispiel nach Maß gefertigte Vorhänge angibt. ... Die Vorschrift ist eng auszulegen.

Der Zweck der Bereichsausnahme liegt darin, dass eine Rückabwicklung des Vertrages für den Unternehmer unzumutbar ist, wenn hierdurch für ihn erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen. Dieses Risiko muss über das allgemeine Risiko eines Fernabsatzgeschäftes hinausgehen, das für den Unternehmer bereits durch die Vorteile dieses Vertriebsmodells ausgeglichen wird. Für das Vorliegen der Ausnahme sind daher zwei Voraussetzungen erforderlich (vgl. BGH, MDR 2003, 732, Rn. 15ff., juris):

Zum einen darf der Unternehmer die vom Kunden veranlasste Anfertigung der Ware nicht ohne weiteres rückgängig machen können. Hierzu ist erforderlich, dass es einen unvertretbaren wirtschaftlichen Aufwand erfordert, die Bestandteile wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich vor der Zusammensetzung befunden haben. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung fünf Prozent des Warenwertes noch nicht als unvertretbaren Aufwand angesehen (BGH a. a. O., Rn. 19, juris).

Zum anderen müssen die Angaben des Verbrauchers die Sache so sehr individualisiert haben, dass der Unternehmer sie wegen ihrer besonderen Gestalt nicht mehr oder nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußern kann (BGH a. a. O., Rn. 20ff; Palandt-Grüneberg, § 312g Rn. 4). Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Spezifikation selbst vorgenommen hat oder die Ware auf Kundenwunsch hin hat anfertigen lassen.

OLG Koblenz, Urt. v. 20.1.2021, 9 U 964/20 (GRUR-RR 2021, 171)

Gemäß § 312 g II Nr. 1 BGB besteht das Widerrufsrecht des § 312 g I BGB grundsätzlich nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Die Vorschrift ist weitgehend wörtlich aus Art. 16 Buchst.  c iVm Art. 2 Nr. 4 RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechte-RL) übernommen. Sie dient der Umsetzung des Art. 16 Buchst.  c Verbraucherrechte-RL und entspricht weitgehend § 312 d IV Nr. 1 Alt. 1 und 2 BGB aF. Die insoweit erfolgte Änderung des Gesetzeswortlautes beruht lediglich darauf, dass der Gesetzgeber die Definition des Begriffs „nach Verbraucherspezifikation angefertigte Waren“ aus Art. 2 Nr. 4 Verbraucherrechte-RL in den Ausschlusstatbestand übernommen hat.

OLG Koblenz, Urt. v. 20.1.2021, 9 U 964/20 (GRUR-RR 2021, 171)

Die hier in Rede stehende Ausnahme vom Widerrufsrecht (§ 312 g II Nr. 1 BGB) hat ihren Grund darin, dass in den dort genannten Fällen die vertragsgegenständliche Ware aufgrund der Angaben des Verbrauchers, nach denen die betreffende Sache gefertigt wird, diese derart individualisiert ist, dass sie für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers ist deshalb nur dann nach § 312 g II Nr. 1 BGB ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch die Rücknahme auf Bestellung angefertigter Ware entsprechende erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, dass die Ware erst auf Bestellung des Verbrauchers nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde. Nicht ausreichend dafür sind dagegen die Nachteile, die mit der Rücknahme bereits produzierter Ware stets verbunden sind, diese hat der Unternehmer nach dem Gesetz vielmehr hinzunehmen (vgl. BGH NJW 2003, 1665 [1667]). Nur wenn der Unternehmer darüber hinausgehende besondere Nachteile erleidet, die gerade durch die Anfertigung nach Angaben des Verbrauchers bedingt sind, kann dem Unternehmer ein Widerrufsrecht des Verbrauchers und die damit verbundene Pflicht zur Rücknahme der Ware – ausnahmsweise – nicht zugemutet werden (vgl. BGH NJW 2003, 1665 [1667]).

OLG Brandenburg, Urt. v. 14.11.2017, 6 U 12/16, Tz. 34

Für eine Anfertigung nach Kundenspezifikation, die das Widerrufsrecht des Verbrauchers ausschließt, reicht es nicht aus, wenn der Verbraucher durch seine Bestellung die Herstellung der Ware veranlasst und dafür - notwendigerweise - genauere Angaben über deren Beschaffenheit macht. Anderenfalls wäre das Widerrufsrecht allein davon abhängig, ob (ein und dieselbe) Ware vorrätig gehalten oder erst auf Bestellung (nach Bedarf) produziert wird. Es läge dann in der Hand des Unternehmers, ein Widerrufsrecht des Verbrauchers dadurch auszuschließen, dass auch standardisierte Ware nicht vorrätig gehalten, sondern erst auf Bestellung produziert wird. Dies liefe dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Regelung zuwider.

Zu Luftbildern des Hauses, in dem der Käufer wohnt

OLG Brandenburg, Urt. v. 14.11.2017, 6 U 12/16, Tz. 35

Die von der Beklagten Verbrauchern gegenüber angebotenen Luftbildaufnahmen sind nicht als nach Kundenspezifikation angefertigt, sondern als vorgefertigte Waren anzusehen. Maßgeblich für diese Beurteilung ist, dass der Beklagten bereits vor der Kontaktaufnahme zu dem potentiellen Kunden die Übersichtsaufnahme aus der Luft als digitale Bilddatei vorliegt, welche den später verkauften Bildausschnitt umfasst.

OLG Koblenz, Urt. v. 20.1.2021, 9 U 964/20 (GRUR-RR 2021, 171)

Die hier maßgeblichen Waren – gegebenenfalls nach Kundenwunsch gerahmte Fotodrucke der dem jeweiligen Verbraucher zuvor angebotenen und sodann nach Kundenwunsch bearbeiteten Luftaufnahmen – sind bereits zu einem Zeitpunkt derart individualisiert, dass die Bekl. sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann, zu welchem der angesprochene Verbraucher eine irgendwie geartete (weitere) Individualisierung noch gar nicht veranlasst hat. Denn die Bekl. bietet dem jeweiligen Verbraucher von vornherein lediglich eine Luftaufnahme an, auf welcher im Wesentlichen das von dem angesprochenen Verbraucher bewohnte Gebäude abgebildet ist. … Ein Absatz an andere Verbraucher, …, ist damit bereits aufgrund der beklagtenseits mit der Auswahl des angebotenen Bildausschnitts vorgenommenen Individualisierung nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass möglich. Eine etwaige – nachfolgende – weitere Individualisierung durch den Kunden ist insoweit nicht mehr von entscheidender Relevanz; ihr fehlt es an der insoweit nach den obigen Grundsätzen erforderlichen Kausalität für den Eintritt der – aus Sicht des Unternehmers – wirtschaftlichen Wertlosigkeit des hergestellten Fotodrucks.

OLG Brandenburg, Urt. v. 14.11.2017, 6 U 12/16, Tz. 37

Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um eine vorgefertigte Ware handelt, ist nicht die Höhe der bei der Produktion entstehenden Kosten.

Die Vorgängervorschrift war § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung. Danach bestand kein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen "zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind oder die auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind oder schnell verderben können oder deren Verfalldatum überschritten würde".

OLG Köln, Urt. v. 27.4.2010, 6 W 43/10, Tz. 5 - Kosmetikprodukte

Diese Ausnahmevorschrift darf nicht in ein allgemeines Kriterium der Unzumutbarkeit des Widerrufs wegen erheblicher Verschlechterung der zurückgesandten Waren für den Unternehmer umgedeutet werden, dem im Fernabsatz grundsätzlich das für ihn in der Regel mit wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Rücknahmerisiko zugewiesen ist. Das Widerrufsrecht soll den Nachteil ausgleichen, der sich für den Verbraucher aus der fehlenden Möglichkeit ergibt, das Produkt vor Abschluss des Vertrages unmittelbar zu sehen und zu prüfen. Damit sind nationale Regelungen nicht ausgeschlossen, nach denen der Verbraucher für eine Benutzung angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, so dass die richtlinienkonform ausgelegte Vorschrift des § 357 Abs. 3 BGB eingreift, sofern die "Benutzung" der gelieferten Kosmetikartikel über den in Ladengeschäften möglichen und geduldeten Gebrauch solcher Waren hinausgeht – wobei offen bleiben kann, ob dazu bereits das Öffnen der Primärverpackung gehört, wenn der Verbraucher sich mangels anderer Prüfmöglichkeit (Testprodukt im Ladengeschäft) sonst keinen unmittelbaren Eindruck vom Duft oder von der Hautverträglichkeit des Kosmetikums verschaffen kann. Eine generelle Begrenzung des Widerrufsrechts auf "Kosmetik … in einem unbenutzten Zustand" würde seine Effektivität jedoch in Frage stellen und das Risiko eines Gebrauchs oder (teilweisen) Verbrauchs der Ware entgegen der gesetzlichen Wertung, die für solche Fälle gerade den Wertersatzanspruch vorsieht und so die Möglichkeit des Widerrufs gedanklich voraussetzt, auf den Verbraucher verlagern.

KG, Urt. v. 27.6.2014, 5 U 162/12, Tz. 30 ff - individuelles Notebook

Ein mit Standardteilen nach Kundenwünschen umgebautes Notebook ist nicht nach Kundenspezifikation angefertigt, wenn sich die Ware ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile mit verhältnismäßig geringem Aufwand wieder in den Zustand vor der Anfertigung versetzen lässt (NJW 2003, 1665, Tz. 15). In dem ihm zur Entscheidung vorgelegten Fall hat der BGH die Kosten eines Rückbaus in Höhe von drei Arbeitsstunden zu je 150 DM angesichts eines Gesamtbetrages von weniger als 5 % des Warenwerts als zumutbar angesehen (NJW 2003, 1665, Tz. 19).

Daraus folgt aber zugleich, dass in einem jeden Einzelfall konkret der Umfang der Kosten eines Rückbaus festzustellen ist und diese Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu dem jeweiligen Warenwert liegen müssen. Deshalb kann auch bei einem Umbau eines Notebooks nach Kundenwünschen mit Standardbauteilen nicht für jeden Fall von vornherein ausgeschlossen werden, dass wegen unzumutbarer Kosten eines Rückbaus ein Widerrufsrecht ausnahmsweise ausgeschlossen ist.

Ist im Einzelfall einer nach Kundenwunsch spezifizierten Lieferung ein Widerrufsrecht des Kunden wegen unzumutbarer Kosten eines Rückbaus ausgeschlossen, besteht keine gesetzliche oder sonstige Informationsobliegenheit oder gar Informationsverpflichtung des Unternehmers, seinem Kunden im Einzelnen mitzuteilen, aus welchen Gründen dies der Fall sein soll. Ein solches Verhalten mag zwar wenig kundenfreundlich sein, es ist aber weder gesetzwidrig noch wettbewerbsrechtlich unlauter noch begründet es eine Verletzung vertraglicher Nebenpflichten.

OLG Köln, Urt. v. 27.4.2010, 6 W 43/10, Tz. 6 - Kosmetikprodukte

Geöffnete oder benutzte Kosmetikprodukte sind nicht "auf Grund ihrer Beschaffenheit" ("by reason of their nature") zur Rücksendung ungeeignet. Aus der natürlichen Beschaffenheit von in geeigneter Verpackung ausgelieferten Cremes oder Parfüms ergeben sich weder ein unvertretbarer Aufwand noch besondere Schwierigkeiten einer "rückstandslosen" Rückgabe; nur um solche in der Art der Ware angelegte, wenn auch vielleicht erst in der Sphäre des Verbrauchers aufgetretene Schwierigkeiten kann es bei diesem Tatbestand aber gehen; aus gesetzgeberischer Sicht sollte er insbesondere im Wege des "Download" vertriebene Dateien und schüttbare Güter wie Heizöl umfassen. Der "rückstandsfreien" Rückgabe angebrochener Kosmetika steht insbesondere der mit der Benutzung eingetretene Wertverlust nicht entgegen, zumal keine Rede davon sein kann, dass nach der Rücksendung der wesentliche wirtschaftliche Nutzen des Produkts beim Verbraucher verbleiben würde.

OLG Köln, Urt. v. 27.4.2010, 6 W 43/10, Tz. 7 - Kosmetikprodukte

Der Ausnahmetatbestand der schnellen Verderblichkeit kann bei Lebensmitteln, Schnittblumen, Arzneimitteln und auch bei Kosmetikartikeln eingreifen; maßgeblich ist jedoch die objektive Verderblichkeit und eine darauf beruhende Unverkäuflichkeit der zurückgesandten Ware, die etwa bei Arzneimitteln nicht einheitlich bewertet wird und auch bei Kosmetika nicht ohne weiteres anzunehmen ist; keineswegs kann es für den Widerrufsausschluss genügen, dass der Verkäufer nach dem Öffnen der Verpackung durch den Verbraucher Gefahr läuft, auf der zurückgegebenen Ware "sitzen zu bleiben".

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Entsiegelung (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 BGB)

OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2016, I-4 U 65/15, Tz. 81 ff

Nach § 312 g Abs. 2 1 Nr. 3 BGB besteht das Widerrufsrecht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Von mangelnder Eignung zur Rückgabe ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die abstrakte Gefahr besteht, dass die Ware aufgrund nicht fachgerechter Lagerung oder Behandlung durch den Verbraucher an Sicherheit eingebüßt hat und daher nicht mehr an andere Verbraucher abgegeben werden kann bzw. darf (MüKoBGB/Wendehorst, 7. Aufl., § 312g Rn. 24). Der Kreis der Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht rückgabefähig sind, ist eher weit zu ziehen.

Im Falle eines Widerrufs und eines nachfolgenden Verkaufs des zurückgegebenen Produkts an einen anderen Kunden besteht insbesondere dann eine hohe Gesundheitsgefahr, wenn es sich um solche Produkte handelt, die unmittelbar mit Körperstellen in Berührung kommen, welche prädestiniert sind, um Krankheitserreger zu übertragen (zB Schleimhäute, Körperöffnungen).

Die Vorgängervorschrift war § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung. Danach bestand kein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen "zur Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder von Software, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind".

Dazu soll das Öffnen der bei Tonträgern üblichen Celophanumhüllung nicht ausreichen:

OLG Hamm, Urt. v. 30.2.2010, 4 U 212/09, Tz. 35

Entscheidend ist, dass eine solche Entsiegelung schon begrifflich voraussetzt, dass eine Verpackung, die der Verbraucher öffnet, auch als Versiegelung erkennbar ist. Diese Versiegelung soll dem Verbraucher deutlich machen, dass er die Ware behalten muss, wenn er diese spezielle Verpackung öffnet. Auch wenn ein ausdrückliches als solches bezeichnetes Siegel nicht erforderlich sein mag, genügt die übliche Verpackung solcher Ware mit Kunststofffolie, die auch andere Zwecke wie den Schutz vor Verschmutzung erfüllen kann, insoweit ohne jede Warnung nicht. Deshalb stellt auch das Öffnen einer Cellophanhülle, in der die gelieferten Datenträger verpackt sind, in den Augen des Verkehrs keine solche Entsiegelung dar, weil dieser Verpackung die Prüf-und Besinnungsfunktion fehlt.

Die Vorschrift kann nicht analog auf andere Medien übertragen werden (OLG Koblenz, Urt. v. 20.1.2021, 9 U 964/20 (GRUR-RR 2021, 171)).

Kein Widerrufsrecht bei einmal verwendbaren, geringwertigen Medizinprodukten:

OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.12.2021, 3 U 3877/21, II.2.b.cc

Testsätze auf Krankheitserreger wie das SARS-CoV-2-Virus sind Gegenstände, die nach einem Entfernen der Versiegelung der Verpackung aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig sind, weil es für den Unternehmer wegen ihrer Beschaffenheit unmöglich oder übermäßig schwierig ist, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wieder verkaufsfähig machen, ohne dass einem dieser Erfordernisse nicht genügt würde (vgl. EuGH, Urteil vom 27. März 2019 – C-681/17, NJW 2019, 1507 (Slewo/Ledowski), Rn. 40). Dies folgt bereits aus dem Charakter als Medizinprodukt, das für sich genommen nur einen geringen Preis hat, aber hohen Anforderungen unterliegt, um zuverlässige Ergebnisse anzuzeigen, und daher Unversehrtheit der Packung und Hygiene besonderen Stellenwert besitzen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. November 2015, VIII ZR 194/16, NJW 2018, 453, Rn. 9). Der Tatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB, nach dem das Widerrufsrecht vorzeitig erlischt, findet daher objektiv auf sie Anwendung.

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Zeitungen und Zeitschriften (§ 312g Abs. 2 Nr. 7 BGB)

Die Vorgängervorschrift war § 312d Abs. 4 Nr. 3 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung. Danach bestand ein Widerufsrecht nicht bei Fernabsatzverträgen "zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten, es sei denn, dass der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat".

BGH, Urt. v. 9.6.2011, I ZR 17/10, Tz. 36 f – Computer-Bild

Die Regelung des § 312d Abs. 4 Nr. 3 BGB aF gilt auch für Fernabsatzverträge zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten im Rahmen eines Abonnements.

Die Bestellung von Abonnements wurde in § 312g Abs. 2 Nr. 7 BGB durch die Reform von der Ausnahme wiederum ausgenommen.

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Zeitlich gebundene Dienstleistungen (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB)

Die Vorgängervorschrift war § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung. Der Anwendungsbereich der früheren Vorschrift wurde im aktuellen Gesetz erweitert.

Rechtsprechung zur Vorgängervorschrift:

OLG Hamm, Urt. v. 21.2.2013, I-4 U 135/12

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG, der der Vorschrift des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB zugrunde liegt, dient allerdings dem Schutz der Interessen der Anbieter bestimmter Dienstleistungen. Diese Richtlinienbestimmung ist darauf gerichtet, die Erbringer von Dienstleistungen in bestimmten Tätigkeitssektoren deshalb auszunehmen, weil die Anforderungen der Richtlinie sie in unverhältnismäßiger Weise belasten könnten, insbesondere in dem Fall, dass eine Dienstleistung bestellt worden ist und diese Bestellung kurz vor dem für die Erbringung der Dienstleistung vorgesehenen Zeitpunkt vom Verbraucher storniert wird (EuGH, NJW 2005, 3055). Diese Anbieter müssen nämlich in der Regel erhebliche Vorkehrungen treffen, um zu dem genau festliegenden Zeitpunkt oder in dem genau angegeben Zeitraum leistungsfähig zu sein. Dann stehen aber die schutzwürdigen Interessen der Anbieter solcher Dienstleistungen im Vordergrund, damit diesen keine – sonst systembedingt zu erwartenden - unverhältnismäßigen Nachteile durch die Stornierung von Bestellungen der Dienstleistungen, insbesondere kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem sie sie zu erbringen wären, entstehen. Verbraucherschutzgesichtspunkte müssen dann zurücktreten.

OLG Hamm, Urt. v. 21.2.2013, I-4 U 135/12

Der Begriff der Dienstleistungen im Sinne von § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB ist weit zu verstehen und umfasst alle Rechtsgeschäfte, bei denen es nicht um die Lieferung einer Ware geht (Staudinger/Thüsing, Neubearbeitung 2012, § 312 b BGB Rn. 81).

OLG Hamm, Urt. v. 21.2.2013, I-4 U 135/12

Der Begriff der "Freizeitgestaltung" wird im deutschen Verbraucherschutzrecht auch in § 12 Abs. 1 FernUSG verwendet und steht dem in der Richtlinie 97/7/EG ebenfalls verwendeten Begriff der "Freizeitveranstaltung" im Sinne von § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB nahe (Junker in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 312b BGB Rn. 120). Als Freizeitveranstaltung ist jede Veranstaltung anzusehen, die der Unterhaltung oder dem Zeitvertreib dient. Art und Niveau der Veranstaltung sind unerheblich. Erfasst werden Sport-, Freizeit- und kulturelle Veranstaltungen aller Art. Freizeitveranstaltungen können auch Kurse sein, wie sie etwa Volkshochschulen im Zusammenhang mit der vorgesehenen Gestaltung der Freizeit (und nicht hinsichtlich der Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit) anbieten (vgl. Beck’scher Online-Kommentar/Schmidt-Räntsch, § 312b BGB Rn. 55). Unter den Begriff der Freizeitgestaltung fällt vor diesem Hintergrund auch die Teilnahme an einem sog. Online-Kurs zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung für den Sportbootführerschein. Denn der Kurs ist auf eine Gestaltung der Freizeit ausgerichtet.

OLG Hamm, Urt. v. 21.2.2013, I-4 U 135/12

Für das Tatbestandsmerkmal „zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums“ ist erforderlich, dass die Leistungszeit konkretisiert und eingrenzbar ist (Erman/Saenger, 13. Aufl. 2011, § 312 b BGB Rn. 20). … Bei der Auslegung des Begriffs des genau angegebenen Zeitraums gemäß dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass die Tatbestandselemente nicht völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind, sondern in einer gewissen Wechselbeziehung zueinander stehen. … Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Gemeinschaftsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen. Stehen diese Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, so sind sie eng auszulegen (EuGH, NJW 2005, 3055 m. w. N.).

Eine 'Dienstleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums' wurde vom OLG Hamm im Urt. v. 21.2.2013, I-4 U 135/12 verneint bei Internet-Kursen von unterschiedlicher Dauer, also bspw. einer Dauer von 6 Monaten, die vom Kursteilnehmer zu einem individuellen Zeitpunkt begonnen werden können.

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Omsels, Online-Kommentar zum UWG:

http://www.webcitation.org/6G5P7noxE